Grundeinkommenskongress in Berlin fordert globales Grundeinkommen

Archiv 27.10.2008 Druckversion

Der dritte deutschsprachige Grundeinkommenskongress vom 24.-26.10. ist in Berlin mit einer Beteiligung von mehr als 600 Teilnehmern zu Ende gegangen. Nicht nur ein breites politisches Spektrum aus den Veranstalterländern Deutschland, Österreich und Schweiz, sondern auch internationale Vertreter der Grundeinkommenspilotprojekte in Namibia und Sambia wirkten bei dem Kongress mit. Die Veranstalter, die Grundeinkommensnetzwerke und attac-Grundeinkommensgruppen aus den drei Ländern, sprachen von einem großen Erfolg des Kongresses.

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Vor dem Hintergrund der internationalen Hilfsaktion für die kriselnden Finanzmärkte hoben die Veranstalter die Notwendigkeit hervor, mit einer mindestens ebenso großen Entschlossenheit gegen Hunger und Armut vorzugehen. Das Argument, dies sei finanziell nicht leistbar, habe sich mit der Billionenhilfe für die Finanzmärkte selbst widerlegt. Dagmar Paternoga, Afrika-Expertin und Mitglied der attac-Arbeitsgruppe „Genug für alle“, betonte, dass für ein Grundeinkommen zur Hungerbekämpfung in den armen Ländern bereits ein Betrag von nur 70 Milliarden € ausreichen würde.

Vollkommenes Unverständnis äußerte der Kongress über den deutschen Zahlungsstop für das von der GTZ geförderte und erfolgreiche Direktzahlungs-Projekt in Sambia und beschloss hierzu folgende Resolution:

„Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des dritten deutschsprachigen Grundeinkommenskongresses drücken ihr Befremden darüber aus, dass das erfolgreiche Projekt eines Sozialtransfers in Kalomo, Sambia von der GTZ unvermittelt aufgegeben bzw. an die britische Entwicklungszusammenarbeit abgegeben wurde. Wir können die Einzelheiten der damit verbundenen Abkommen nicht einschätzen, finden es aber unakzeptabel, dass die Bedürftigen in Kalomo praktisch über Nacht ohne finanzielle Hilfe dastanden. Sollte es Gründe geben, die eine Wiederaufnahme des Projektes in Kalomo durch die GTZ unmöglich machen, so erwarten wir eine Unterstützung von entsprechenden Geldtransferprojekten bis hin zu einer bedingungslosen Zahlung an alle durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit.“

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In über 30 Workshops des Kongresses wurden steuerliche und sozialpolitische Aspekte, aber auch anthropologische und ethische Begründungen für ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert. Weiterhin nahmen insbesondere ökologische, religiöse und internationale Fragestellungen in den Diskussionen breiten Raum ein. Im internationalen Kontext thematisierte der Kongress neben den Projekten in Afrika vor allem die Rolle der Europäischen Union bei der Einführung eines Grundeinkommens.

Angeregt durch den Beschluss des EU-Parlaments, die EU-Kommission mit der Überprüfung der Möglichkeiten eines EU-weiten Grundeinkommens zur Armutsbekämpfung zu beauftragen, forderte Klaus Sambor von attac-Österreich, die EU solle jedem Mitgliedsland der Europäischen Union ein landesweites Grundeinkommen nach Maßgabe seiner Wirtschaftskraft auszahlen. Das Grundeinkommen könne den Einstieg in eine europaweite Sozialpolitik darstellen. Alle übrigen Sozialleistungen sollten weiterhin von jedem Land selbst getragen werden. Wirtschaftlich stärkere Staaten könnten das Grundeinkommen in finanzschwächeren Staaten durch eine Ausgleichssteuer unterstützen.

Die Veranstalter betonten, die erfolgreiche gemeinsame Arbeit der Grundeinkommens-Organisationen der deutschsprachigen Länder fortführen und vertiefen zu wollen. Dazu könne auch die Woche des Grundeinkommens dienen, die erstmalig im September stattfand und im nächsten Jahr unter Beteiligung weiterer Länder fortgesetzt werden solle, wie Netzwerk-Sprecher Günter Sölken erläuterte.

6 Kommentare

Ingmar Kumpmann schrieb am 31.10.2008, 21:28 Uhr

Der Kongress in Berlin war auch in meinen Augen ein großer Erfolg, ein wichtiges Forum für den gedanklichen Austausch zum Grundeinkommen. Mir selbst wurde noch einmal klar, wie wichtig eine starke internationale Orientierung für die Grundeinkommensidee ist.

Ich möchte allen, die den Kongress vorbereitet und organisiert haben, sehr für die geleistete erfolgreiche Arbeit danken. Der Kongress war sehr gut organisiert, alles funktionierte prima, die Zusammenarbeit lief (zumindest in Bezug auf die Workshops, an denen ich beteiligt war) freundschaftlich und problemlos. Herzlichen Dank!

Gérald schrieb am 31.10.2008, 21:29 Uhr

Ich bin enttäuscht. Wie kann es sein, daß eine derart glänzende und fundamentale Idee wie die des BGE bereits jetzt, am Anfang ihrer Reifung, von allerlei egozentrischen Schreihälsen und Ewiggestrigen vereinnahmt wird? Da entsteht ein fundamentales und für die globalisierte Welt unerlässliches Gesamtkonzept, das ALLE mit ins Boot holt, endlich Schluss macht mit primitiven Gruppenegoismen, mit veralteter Schwarz-Weiß-Malerei zugunsten eines wahrhaft solidarischen Miteinanders ALLER Menschen, und da ertönen schon wieder die Fanfaren der Vergangenheit…

Das konsumsteuerfinanzierte BGE ist absolut logisch, selbsterklärend und selbstverständlich. Götz Werner sagt, die Idee müsse erst gedacht werden können, um sich dann epidemisch auszubreiten, was dann ein Einlenken der Politik, die die Begabung hat, die Segel entsprechend der erfühlten Stimmung in der Bevölkerung auszurichten, nach sich ziehen wird.

Für mich persönlich ist unser einkommenssteuerfinanziertes Sozialsystem seitdem ich Kind bin absolut unlogisch, ja ich habe es einfach nie wirklich kapiert und bin heute mit 31 Jahren immer noch begriffsstutzig, wenn es um Einkommenssteuererklärungen und dergleichen parasitären Unfug geht.

Das jetzige System der Besteuerung von Einkommen ist unlogisch. Wie kann es sein, dass der, der für die Allgemeinheit (das Gemeinwesen) etwas tut dafür auch noch zur Kasse gebeten wird, wohingegen derjenige, der konsumiert auch noch Mengenrabatte genießt? Für mich lautet – Götz Werner’s Argumentation folgend – die einzig logische Prämisse:

Der, der gibt, bekommt Vorfahrt (keine Einkommenssteuer). Der, der nimmt, zahlt (Konsum- bzw. Mehrwertsteuer). Außerdem ist die Konsumsteuer weit einfacher, evidenter und weniger davon bedroht, daß man sich darum drückt, je besser der eigene Steuerberater ist.

Nur die ewig gestrigen Besserwisser kommen da wieder mit ihren alten Klassenkampfparolen, meines Erachtens weil sie abhängig sind von einer Gruppe, zu der sie gehören, und sich einen klaren Feind wünschen – die „bösen Reichen“ eigenen sich dazu ideal.

Eine Überfrachtung mit wichtigen, aber dennoch nicht genuin zum BGE gehörenden Ideen ist kontraproduktiv. Wer im Rahmen des BGE Mindestlohn, Umweltschutz, Arbeitszeitregelungen, Reichenbesteuerung oder dergleichen fordert, der hat das BGE noch nicht verstanden und trommelt auf trotzig-kindische Art und Weise auf den Tisch. Diese Dinge sind, wenn man das BGE verstanden hat, nämlich schon längst eine automatische Konsequenz der Einführung!

Freiheit, Vielfalt, universelle Verantwortung!

Danke schrieb am 01.11.2008, 15:47 Uhr

Dieser Artikel wurde ins Koreanische uebersetzt. Danke!

Mathias Schweitzer schrieb am 02.11.2008, 21:53 Uhr

Auch für mich war der Kongress eine wichtige Erfahrung, die ich nicht mehr missen möchte. Ich hatte mich schon darüber geäußert, wie gut er mir gefallen hat. Das das BGE für alle Teilnehmenden die Teilnahmegrundlage war, brauche ich hier wohl nicht noch gesondert ausführlich erwähnen. Ich denke, genau wie Gèrald, dass eine Finanzierung über Verbrauchssteuern, allerdings der Höhe nach gestaffelt, ein einfacher und vernünftiger Weg ist.

Die Freiheit Arbeit anzunehmen oder abzulehnen, ohne Repressalien des Staates ausgesetzt zu sein, ist für mich das Herzstück eines BGE. Ein menschenwürdiges Leben zu führen, dass heißt ein gut finanziertes Leben auch ohne Arbeit (kein offener Hartz IV Strafvollzug für Unschuldige) führen zu können, leitet sich daraus ab. Götz Werner, er ist nun mal die Leitfigur, will über seine Wellentheorie ein BGE, beginnend für die Kinder und Rentner, später für alle Menschen einführen.

Wenn es Menschen in diesem Land gibt, die arm trotz Arbeit sind, die trotz einer 38 Std./Woche ihre Familien nicht vernünftig unterhalten können und deswegen regelmäßig Hartz IV bekommen, dann müssen wir auch für einen Mindestlohn eintreten. Ein noch einzuführender Mindestlohn garantiert den Teil der arbeitenden Menschen und ihrer Familien! ein menschenwürdiges Leben. Klassenkampf wird es immer geben, solange es Arme und Reiche gibt, eben 2 Klassen. Nur die Mittel haben sich, Gott sei Dank, in den letzten 100 Jahren verändert. Als \"ewig gestriger Besserwisser\", Zitat Gèrald, werde ich mich weiterhin aktiv für einen lebenswerten Mindestlohn in Deutschland, mit demokratischen Mitteln, einsetzen. Vielleicht kann man es ja, rein moralisch gesehen, als weiteren kleinen Schritt hin zu einem BGE sehen. Sollte später mal ein Mindestlohn nicht mehr erforderlich sein, kann er ja wieder abgeschafft werden.

Michael Klockmann schrieb am 04.11.2008, 11:35 Uhr

Ich verstehe auch nicht so recht, warum Götz Werner und sein Finanzierungskonzept mit der Mehrwertsteuer so angefeindet werden. Diese Steuerreform passt tatsächlich mal auf den berühmten Bierdeckel, setzt ganze Armeen von fleißigen Beamten und findigen Steuerberatern für gesellschaftlich sinnvollere Betätigungen frei, ist systemisch blitzsauber gedacht und was daran ungerecht sein soll konnte mir auch noch niemand schlüssig erklären. Der Mann hat seinen Marx verstanden, Respekt.

Nicht zu billigen aber noch menschlich verständlich

mag ja sein, wenn - wie geschehen - eine über die Armut und die täglichen Entwürdigungen des Lebens unter Hartz IV Verbitterte, einem wohlhabenden \"Star-Unternehmer\" auf dem Podium verbal an den Hals geht. Aber so und fast nur so werden ja leider soziale Unterschiede landauf landab medial verhandelt: Alle sind wir nur der kleine Mann, der betrogen wird, bis auf den bösen Ackermann, auf den dürfen alle einhacken - sehr deutsch das, aber klassenkämpferisch?

Wenn mir das bodenlose und in letzter Konsequenz gefährliche Gerede von den „bösen Reichen“ dann allerdings auch noch ideologisch verbrämt als \"links\" verkauft werden soll, kommt mir tatsächlich die Galle hoch.

Ich muß es ja wohl ertragen, daß in mancher Leute Augen das bGE nur mit einem Gemischtwarenladen tagespolitischen Allerleis aus der Küche der parlamentarischen Linken garniert zu einem \"emanzipatorischen\" wird (siehe \"Erklärung für ein emanzipatorisches Grundeinkommen\" LINK). Das zeugt zwar von völligem Unverständnis des strategischen Konzepts Grundeinkommen, aber darüber läßt sich ja bestens disputieren. Mindestlohn sofort, wenn er eines schönen Tages durch bGE überflüssig werden sollte, kann ma ja auch wieder drauf verzichten - Da zum Beispiel ist Mathias beizupflichten, gerade weil das bGE ein so fundamentales Konzept, geradezu die Skizze für den Gesellschaftsvertrag des 21. Jahrhunderts ist.

Systematisch widersprechen sich bGE und Mindestlohn zwar, aber da sie allein schon vom Zeithorizont her in völlig unterschiedlichen Ligen spielen, ist es menschlich nicht richtig und politisch falsch, Vertreter der entsprechenden Fraktion als \"egozentrische Schreihälse\" zu diffamieren. Klar, aus meiner Sicht ist das finsterste \"old school\", wenn die Mehrheit der Bevölkerung mal eben als Familienanhang der \"Arbeitenden\" vorgeführt wird, aber \"old school\" ist dennoch respektvoll gemeint und wir sollten nicht vergessen, das diese Tendenz für einen über 150 Jahre unter Blut, Schweiß und Tränen (wörtlich!) aufgebauten Interessenvertretungsapparat der Bevölkerung steht und daher zumindest als Verbündete auch einiges an Erfahrung mit einbringen kann. Also auch hier: Respekt, Gerald, es ist nämlich eher wahrscheinlich, das unter den \"Ewiggestrigen Besserwissern\" auch einige sind, die so einiges tatsächlich besser wissen als Du.

Das Problem an der \"old school\" ist, daß sie in ihrem verzweifelten Klammern an Überkommenes (Arbeitsfetisch, Auto, patriarchalisches Weltbild etc.) und die wenige ihr noch verbliebene Macht lieber emotionelle Anleihen bei ihren fürchterlichsten Feinden macht als sich einem frischen Aufwasch, einem frischen Diskurs zu öffnen. Ich befürchte, sie halten ihn sogar für \"neoliberal\". Das macht es ihnen auch so schwer, demagogische Hassprediger in ihren Reihen zur Ordnung zu rufen. Im Eröffnungsplenum haben sie sogar einen ans Mikrofon gelassen.

Ich bin nach meinem Protest gegen solcherart Stimmungsmache gefragt worden, ob wir denn nun \"arm und reich nicht mehr thematisieren\" dürften. Dazu ist nur zu sagen: Die absolute Armut abschaffen, das ist vorderhand das erklärte und in gewisser Weise einzige direkte Ziel der Existenzgeld-Forderung. Den Armen aber \"Reiche\" als Blitzableiter ihrer Verbitterung zu liefern, ist schlicht inhuman, das sollten wir der BILD-Zeitung überlassen. Deshalb haben Begründungszusammenhänge, die Sozialneid und Haß mit Gesellschaftskritik verwechseln, sei es unterschwellig oder offen, nichts mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu tun.

A propos Gesellschaftskritik, zum friedlich schiedlichen Schluß noch ein Diskussionsangebot in Sachen Klassenanalyse, Stichwort \"Kapitalfraktionen\": Götz Werner ist ja nun Drogist, mithin Einzelhandelskapitalist mit einem deutlich Familien- und Reproduktionslastigen Sortiment. Der Mann hat also ein Interesse daran, daß wir genügend Geld auf Tasche haben für unsere Körperpflege und sonstige elementare Lebensführung.

Allein das schon macht ihn zu einem natürlichen, nicht nur taktischen, Verbündeten und überaus ehrenwerten Verräter seiner Klasse. Wenn so jemand auch noch glasklar und in wunderbarer Übereinstimmung mit dem alten Mann aus Trier analysiert, wo denn der Mehrwert herkommt und genau dort, an der Quelle, die Steuerschraube für das bedingungslose Grundeinkommen ansetzt, dann kann ich der Linken nur nochmals zu rufen: 1. Respekt 2. Kapitalkurse!

In diesem Sinne: Klare Kante, für bedingungslosen Respekt auf Gegenseitigkeit, für das wohlverstandene eigene Interesse eintreten und eine scharfe inhaltliche Debatte, die Verhältnisse haben es verdient und die Zeit ist reif.

Hansjoachim Kubowitz schrieb am 10.12.2008, 15:20 Uhr

Dem Beitrag von Michael Klockmann kann ich nur beipflichten. Sich die alten Feindbilder – zudem noch untereinander – vorzuhalten, bringt uns nicht weiter.

Die Idee, durch Schaffung eines Bedingungslosen Grundeinkommens die Möglichkeit für Viele zu eröffnen, die Arbeit zu tun, die sie selbst wirklich wollen, verdient es, mit allen verbündet noch stärker in das gesellschaftliche Bewußtsein getragen zu werden. Die Zeit ist wirklich reif.

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