Bericht vom Sozialforum im Wendland
Vom 15. bis 18. Oktober fand zum dritten Mal das deutsche Sozialforum statt. Etwa 300 Teilnehmer trafen sich in Hitzacker/Wendland und diskutierten und informierten sich in vielfältigen Veranstaltungen über drängende Themen und Perspektiven zu den Krisen der Gegenwart.
In der Eröffnungsveranstaltung am Donnerstagabend wurde deutlich herausgestellt, wie drängend die sozialen und ökologischen Probleme weltweit sind und wie dringend eine Umkehr vorangetrieben werden muss. Neben verschiedenen künstlerischen Darbietungen sprachen Gewerkschaftsvertreter, Attac-Aktivisten und der Bürgermeister von Hitzacker. Höhepunkt war hierbei die Rede der Philosophin Frigga Haug, in der sie die Notwendigkeit eines Neudenkens des Arbeitsbegriffs betonte. Die Forderung nach einem Grundeinkommen sei ihr allerdings „zu bescheiden“. Ihre Losung dagegen lautete: „Teilzeitarbeit für alle“, was sich aus Sicht von Grundeinkommensbefürworter/innen allerdings wohl genau anders herum darstellt. (vollständig nachzulesen auf ‘Der Freitag’).
Das Grundeinkommen war in zwei vom Netzwerk Grundeinkommen angebotenen Workshops Thema. Reimund Acker bot am Freitagmorgen einen allgemeinen Überblick über die Idee selbst, die Abgrenzung zu anderen Konzepten von Sozialtransfers und die seit über hundert Jahren andauernde kontinuierliche Abnahme des Arbeitsvolumens, die neben dem Menschenrecht auf würdevolles Leben ein weiterer wesentlicher Grund für die Notwendigkeit des Grundeinkommens ist (siehe Protokoll). Martina Steinheuer referierte dann nachmittags über Finanzierungsmöglichkeiten. In beiden Workshops wurde rege diskutiert und auch die in Teilen gezeigte Wanderausstellung stieß auf reges Interesse.
Aber auch in anderen Veranstaltungen, z.B. von Erwerbsloseninitiativen (siehe Protokoll) und in den „nichtoffiziellen“ Bereichen wurde über das BGE debattiert. So führten Reimund Acker und Wolfgang Strengmann-Kuhn, der privat teilnahm, mit Frigga Haug am ersten Abend die Anregungen der Eröffnungsrede bei einem gemeinsamen Abendessen fort, wobei Haug auf Nachfrage klarstellte, dass sie ebenfalls für ein Grundeinkommen sei. Am Freitagabend fand im Foyer der Turnhalle, die als Sammelunterkunft für ca. 40 Teilnehmende diente, gar eine kleine, spontane „Krönungsaktion“ statt, weil Teilnehmende aus Bautzen übrig gebliebene Kronen von der „Woche des Grundeinkommens“ kurzerhand mitgenommen hatten.
Gleichwohl zeigten Gespräche und Diskussionsbeiträge, wie das Grundeinkommensthema von vielen Gewerkschaftern und sozialistisch Orientierten noch immer recht kritisch angesehen wird. Sehen doch manche einzig in der Kollektivierung der Produktion die Basis für eine neue Gesellschaftsordnung, während viele andere in der Grundeinkommensbewegung gerade den gängigen Arbeitsbegriff und das Feindbild vom ausbeuterischen Unternehmer und dem geknechteten Arbeitnehmer durchbrechen wollen.
Ein Hauptthema dieses Sozialforums war die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur, wozu es mehrere Veranstaltungen, z.B. auch mit dem Kölner Publizisten Werner Rügemer mit dem Schwerpunkt ‘Private Public Partnership (PPP)’ gab; außerdem am Freitagabend das eindrucksvolle Theaterstück „Das blaue Wunder“ der „Berliner Compagnie“.
Einen großen Raum nahm selbstverständlich der von der schwarz-gelben Koalition geplante Wiedereinstieg in die Atomenergie ein, der auch auf einem Demonstrationszug von etwa 500 Menschen am Samstagnachmittag durch Hitzacker das beherrschende Thema war.
Die Themenvielfalt des Sozialforums war überwältigend. Das Programm bot einen reichen Überblick über globale und auch regional/nationale Brennpunkte und Lösungsperspektiven, politische wie auch gesellschaftliche oder Kommunikationsfragen. Gleichwohl war die Teilnehmerzahl niedriger, als bei den vergangenen Sozialforen.
Die Ursachen hierfür könnten in einer gewissen „Krisenübersättigung“ oder der Abgelegenheit von Hitzacker liegen, doch ist das nur eine persönliche Mutmaßung. Nach der Fülle der Eindrücke, aber auch einigen Hinweisen auf weitere fehlende und ebenfalls wichtige Themenstellungen, wie z.B. dem Lissabon-Vertrag, ist das Resümee durchaus ambivalent:
Einerseits hinterlässt die geballte Konzentration von Informationen über die Krisen der Welt leicht ein Gefühl der Ohnmacht und Überforderung. Außerdem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass immer wieder dieselben und sowieso bereits politisch aktiven Menschen über dieselben Themen und unberührt von der breiten Masse der Bevölkerung debattieren. Andererseits sind Begegnungen wie diejenigen auf dem Sozialforum unerlässlich für das Zusammengehörigkeitsgefühl der globalen sozialen, Öko- und Friedens-Bewegung.
Im persönlichen Gespräch ergeben sich Kontakte, Anregungen und genau das, was zwar technisch in Hitzacker u.a. durch die relativ großen Entfernungen zwischen den Veranstaltungsorten nicht immer reibungslos geklappt hat, was aber auf der zwischenmenschlichen Ebene umso deutlicher zu spüren war: Vernetzung, Dialog und Austausch.
In jedem Fall war es gut, für das Grundeinkommen auf diesem Sozialforum Flagge zu zeigen. Die Bereitschaft, das BGE als realistische Alternative zu konventionellen Grundsicherungssystemen à la Hartz IV, aber auch als zukunftsweisende Perspektive zu menschlicher Freiheit und Selbstentfaltung zu diskutieren, nimmt spürbar zu. Umso wichtiger ist es, dass z.B. das Netzwerk Grundeinkommen als kompetenter Diskussions- und Ansprechpartner für das Thema vor Ort ist.