Schweizer Gewerkschaften fordern „Grundeinkommen“ für Sabbaticals
Während deutsche Gewerkschaftsfunktionäre die Debatte zum Grundeinkommen eher blockieren als fördern, gibt es in der Schweiz nicht nur eine unaufgeregte Debatte zum Grundeinkommen. Es werden auch konkrete Schritte zum Grundeinkommen vorgeschlagen.
Das gewerkschaftsnahe Denknetz Schweiz, in dem der Zentralsekretär des Schweizerischen Verbands des Personals Öffentlicher Dienste (vpod), Beat Ringger, als geschäftsleitender Sekretär engagiert ist, ebnet mit praktischen Ansätzen den Weg zum Grundeinkommen – interessanterweise mit der Konkretisierung eines Vorschlags von DGB-Chef Michael Sommer.
Sommer hatte im Jahr 2002 in einem Interview mit der WELT vorgeschlagen:
„DIE WELT: Setzen Sie im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit weiterhin auf eine Umverteilung von Arbeit und Arbeitszeitverkürzung? Sommer: Ja, natürlich. Aber die Beschäftigten müssen sich Arbeitszeitverkürzung auch leisten können. Hinzu kommt, dass die Menschen mehr Freiheit im Berufsleben brauchen. Die Arbeitnehmer brauchen stärkere Anreize als bisher, in Teilzeit zu gehen oder auch einmal für zwei, drei Jahre eine Auszeit aus dem Berufsleben zu nehmen, um sich weiter zu bilden, um zu reisen, um neue Energie aufzutanken oder um sich stärker der gemeinsamen Kindererziehung zu widmen. Freiwillige Auszeiten sollten durch eine Grundsicherung aufgefangen werden. Wer eine Auszeit aus dem Berufsleben nehmen will, der sollte ein steuerfinanziertes einheitliches Grundeinkommen erhalten, damit er ausreichend abgesichert ist und sein Lebensmodell verwirklichen kann. Ich sehe in dieser sozialen Grundsicherung auch einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Denn die Beschäftigten sind eher bereit, weniger zu arbeiten, wenn sie ein Grundeinkommen erhalten. Aber eine soziale Grundsicherung sollte nicht nur jenen helfen, die freiwillige Auszeiten nehmen. Sondern sie sollte auch jenem Drittel unserer Gesellschaft helfen, das droht, aus dem sozialen Zusammenhalt hinaus gedrängt zu werden. DIE WELT: Aber wie wollen Sie das denn finanzieren? Sommer: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Regierung sollte endlich Steuerschlupflöcher schließen und Steuerhinterziehung energischer bekämpfen. Dadurch ließen sich mehrere Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen gewinnen. Zudem sollte eine Vermögensteuer, höhere Erbschaftssteuern und eine Wertschöpfungsabgabe auf die politische Tagesordnung.“
Während Sommer diesen progressiven Ansatz nicht weiter verfolgte, sondern sich auf Attacken gegen das Grundeinkommen verlegt, haben Katja Kipping aber auch die Denknetz-Leute in der Schweiz seinen Vorschlag weiterentwickelt und konkretisiert. Der Vorschlag von Katja Kipping findet sich im taz-Interview vom 31.10.2012; zum Denknetz-Vorschlag siehe den Beitrag im Septemberheft des Magazin des Schweizerischen Verband des Personals Öffentlicher Dienste (S. 14) und den Beitrag Eine Vision vor dem Diebstahl bewahren von Beat Ringger vom April 2011.
Denknetz schlägt vor, dass jeder Erwachsene in der Zeit zwischen dem Abschluss der Erstausbildung und der Rente drei bezahlte freie Jahre nehmen kann. Diese werden mit einem bedingungslosen Sabbatical-“Grundeinkommen“ finanziell abgesichert, selbstverständlich auch mit einem Kündigungsschutz für erwerbstätige Erwachsene. Wohlgemerkt: Das bezahlte Sabbatical gibt es für alle Erwachsenen, egal ob diese in Vollzeit erwerbstätig sind oder in Teilzeit arbeiten, erwerbslos sind, nicht erwerbsarbeiten, sondern z. B. private Sorgearbeit leisten usw. Dieses zeitweilige bedingungslose „Grundeinkommen“ für alle Erwachsenen soll 3.200 Schweizer Franken betragen (1).
Sozialversicherungen werden während des Sabbatical fortgeführt. Es soll den Menschen freigestellt sein, in welchen Tranchen sie das Sabbatical in Anspruch nehmen. Sie können es auch in Form von Teilzeit in Anspruch nehmen, oder ansparen, um es direkt vor der Rente zu nehmen. Diese Offenheit ist wichtig, wissen wir doch, dass die Menschen sehr unterschiedliche Präferenzen für Arbeitszeitverkürzung und für den Ausstieg aus der Arbeit haben (vgl. Ronald Blaschke in Weniger arbeiten!, S. 41; hier eine Tabelle dazu als pdf-Dokument).
Finanziert werden soll dieses Sabbatical-“Grundeinkommen“ für alle Erwachsenen durch Steuern auf hohe Gewinne, auf Erbschaften und auf Manager-Boni – eine klassische Rückverteilung nicht zustehenden Einkommens also. Zum Vergleich führen die Denknetz-Leute an: Die Kosten dieses Sabbatical-“Grundeinkommens“ entsprechen in etwa der Summe aller Boni, die die Top-Kader der Schweizer Wirtschaft jedes Jahr beziehen.
Deutlich wird, dass dieser Denknetz-Ansatz weit über traditionelle Vorstellungen der Arbeitszeitverkürzung, aber auch über das Konzept der Bedingungslosen Grundzeit des Vordenkers moderner gewerkschaftlicher Positionen in der Hans-Böckler-Stiftung, Claus Schäfer, oder den Ansatz Sommers vom Jahr 2002 hinausgeht:
1: Das Sabbatical-“Grundeinkommen“ erkennt unterschiedliche Präferenzen der Menschen hinsichtlich selbstbestimmter Gestaltung von Arbeits- und Lebenszeit an. Es vermeidet also die abschreckend kollektivistische Lösung in Form der 30-Stunden-Woche. Menschen wollen gemäß ihrer sozialen und familialen Situation und ihren Vorlieben selbst entscheiden, ob sie die Wochenarbeitszeit verkürzen, ein Sabbatical nehmen oder schon vor der Rente aus dem Berufsleben aussteigen. Wer die 30-Stunden-Lösung diskutiert, muss also immer darauf achten, dass diese lediglich die gesamtgesellschaftliche Richtung anzeigt, die da lautet: Wir leben im Überfluss, wir wollen weniger Erwerbsarbeit und mehr freie Tätigkeit und Muße, statt unser Leben im ökologisch schädlichen Hamsterrad Produktion-Konsumtion-Produktion zu verbringen.
2. Das Sabbatical-“Grundeinkommen“ garantiert allen Erwachsenen eine zeitlich begrenzte Grundeinkommensabsicherung, nicht nur Erwerbstätigen, wie es beim Konzept der bedingungslosen Grundzeit oder bei den Vorstellungen von Michael Sommer der Fall ist. Es legt also einen bereits erweiterten Arbeitsbegriff zu Grunde, der Tätigkeiten wie Erwerbsarbeit, bürgerschaftliches Engagement, Sorge-/Familien- und Erziehungsarbeit und Bildungsarbeit bzw. Bildung der eigenen Person umfasst. In diesem Sinne gibt es keine arbeitslose Person.
Wir sehen am Beispiel der Schweiz: Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, auch führende Funktionäre, können mit konkreten Vorschlägen etwas bewegen für mehr Freiheit und Solidarität in der Gesellschaft; ganz anders als uns manche Gewerkschaftsfunktionäre in Deutschland glauben machen – von „Arbeitgeber“funktionären in Deutschland ganz zu schweigen (vgl. dazu die Position der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände).
(1) Zum Vergleich: Die Armutsrisikogrenze betrug in der Schweiz im Jahr 2010 rund 2.378 Schweizer Franken (netto). Das gewährte soziale Existenzminimum (z. B. der Sozialhilfe) beträgt durchschnittlich 2.243 Schweizer Franken (netto; vgl. Bundesamt für Statistik: Armut in der Schweiz. Einkommensarmut der Schweizer Wohnbevölkerung von 2008 bis 2010). Die Gewerkschaften fordern 4.000 Schweizer Franken monatlichen Mindestlohn (brutto) für einen Vollzeitjob.