Petitionen zum Grundeinkommen mit mangelhafter Begründung abgelehnt

Ronald Blaschke 28.07.2013 Druckversion

Die Petition von Susanne Wiest und weitere Petitionen zum Grundeinkommen wurden mit der Mehrheit der CDU, CSU, FDP und SPD im Deutschen Bundestages abgelehnt (wir berichteten).

Die nun veröffentlichte Begründung für die Ablehnung ist geprägt von den üblichen Behauptungen gegen das Grundeinkommen.

So wird zum Beispiel mehrmals zum Grundeinkommen ausgesagt, dass dies den Anreiz zur Arbeit bzw. zur Erbringung von wirtschaftlichen Gütern „zumindest“ einschränken dürfte. „Es ist davon auszugehen, dass viele für das Funktionieren hochkomplexer Gesellschaften wie der unsrigen notwendige Arbeiten nur bei entsprechendem Anreiz ausgeführt werden.“ Ohne einen solchen „Anreiz“ wäre aber eine Produktion dieser Güter „schlicht nicht vorstellbar“. Mit dieser Argumentation wird erstens die Erbringung ökonomischer bzw. notwendiger Leistung auf Erwerbsarbeit reduziert. Zweitens wird mit dem Anreiz-Argument, das einem bedingungslosen Transfer die Zustimmung versagt, zugegeben, dass Erwerbsarbeit derzeit nur mit existenziellem Zwang gegenüber den Menschen aufrechterhalten werden kann (eine bloßstellende Logik, so will ich meinen). Drittens wird nicht realisiert, dass der „Anreiz“ etwas dazuzuverdienen beim Grundeinkommen wesentlich höher wäre, als zum Beispiel mit den jetzigen Freibetragsregelungen bei Hartz IV. Immerhin gibt es aber in der Begründung noch diesen Satz: „Eine andere Betrachtung könnte sich allenfalls durch Erkenntnisse aus weiterer wissenschaftlicher Forschung ergeben.“ So sicher scheint man sich also mit dem Hauptargument gegen das Grundeinkommen doch nicht zu sein! Wenn dem so ist, warum wurde dann aber keine weiterführende Debatte und die Einholung von wissenschaftlicher Expertise verlangt, sondern der Abschluss der Debatte?

Die Begründung für die Ablehnung der Wiest-Petition offenbart aber nicht nur grundsätzliche Widersprüche, sondern auch einen Mangel an Fachkunde in Bezug auf das Grundeinkommen.

So wird zum Beispiel behauptet, dass sich das solidarische Bürgergeld (ein partielles Grundeinkommen nach Dieter Althaus, CDU) hinsichtlich „Bedürftigkeit und Arbeitsbereitschaft vom Modell des bedingungslosen Grundeinkommens unterscheidet“. Verwechselt wird das Althaus-Modell also mit dem Liberalen Bürgergeld der FDP, dessen Zahlung in der Tat eine Bedürftigkeitsprüfung voraussetzt, ebenso eine Arbeitsbereitschaft.

Auch wird in der Begründung die grundsätzliche Ablehnung des Grundeinkommens mit Argumenten vermischt, die nur auf das von Susanne Wiest in der Begründung zur Petition geforderte Grundeinkommensmodell zielen, aber nicht auf andere Grundeinkommensvorschläge. Viele Grundeinkommensansätze sind nämlich nicht mit einer „völligen Umstrukturierung des Steuer-, Transfer- und Sozialversicherungssystems“ oder mit der Abschaffung der Rente verbunden. Auch andere Argumente, die sich gegen den Grundeinkommensansatz richten, den Susanne Wiest in der Begründung zur Petition vorgetragen hat, können nicht grundsätzlich auf das Grundeinkommen bezogen werden – zum Beispiel, dass das Grundeinkommen zu einem Anstieg der Schattenwirtschaft aufgrund höherer Verbrauchssteuern führe, deswegen auch eine Ermunterung zur Schwarzarbeit darstelle und eine überproportionale Steuerbelastung der weniger Wohlhabenden bedeute. Offensichtlich ist auch hier, dass die für die amtliche Begründung Verantwortlichen und diejenigen, die dieser Begründung zugestimmt haben, keine Ahnung von den unterschiedlichen Ansätzen für ein Grundeinkommen haben.

Fazit: Die Begründung für die Ablehnung der Grundeinkommenspetitionen basiert auf unbewiesenen Behauptungen und mangelnder Fachkenntnis über das Grundeinkommen. Das ist mehr als peinlich!

6 Kommentare

Juergen Rettel schrieb am 28.07.2013, 19:03 Uhr

Peinlich ist nur das Fachwissen von Herrn Blaschke. Die Petition von Susanne Wiest forderte das utopische Grundeinkommen von 1500 Euro, also 75 % des Prokopfeinkommens. Von anderen Grundeinkommensmodellen wurde von Susanne Wiest nicht gesprochen.

Michael Gehlhar schrieb am 28.07.2013, 19:20 Uhr

\"Das ist mehr als peinlich!\" Dieses Fazit trifft den Nagel auf den Kopf. Wie kann ein Volksbegehren nur so subjektiv abgehandelt werden? Die Argumentation ist einer Volksvertretung nicht würdig. Auf weitere Forschungen zu verweisen, welche notwendig seien, um das ganze vernünftig beurteilen zu können, hat den faden Beigeschmack einer Ausrede und einen Hauch von Arbeitsverweigerung. Denn Forschung dazu gibt es genug, man müsste sich derer nur einmal annehmen. Z.B. mit einer - wie vom Netzwerk Grundeinkommen geforderten - Enquete-Kommission. Man sollte auch nicht von \"DEM\" BGE ausgehen, sondern sich der Debatte um ein - wie auch immer ausgestaltetem - Grundeinkommen öffnen.

Charlotte Ullmann schrieb am 28.07.2013, 23:26 Uhr

Das ist typisch. Sich nicht mit der Materie auseinandersetzen und dann dagegen stimmen. Aber im Grunde wissen diese Damen und Herren von den herrschenden Parteien, dass ein BGE, so umgesetzt, wie wir uns das vorstellen, ein gigantisches Umverteilungsinstrument von oben nach unten wäre. Das können sie ja nicht zulassen, weil es die gesamte neoliberale Politik der letzten 20 Jahre umkehren würde. Also ist die Frage der Umsetzung weniger eine Frage des Wissens, sondern eher eine Frage des Willens, ein Frage der Machtverhältnisse. Denn wenn man etwas nicht will, wird man immer Argumente dagegen finden, und seien sie noch so unqualifiziert.

Friedrich Naehring schrieb am 01.08.2013, 06:26 Uhr

Schon beim ersten Verfolgen der Anhörung am 8.11.2012 - www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2010/31904334_kw45_pa_petitionen/index.html - ist mir aufgefallen, dass Dr. Markus Kerber aus der Grundsatzabteilung des Finanzministeriums die Umsatzsteuer bzw. Konsumsteuer nicht verstanden hat, obwohl das Konzept einer alleinigen Steuer seit langem bekannt ist. Er hätte sich besser vorbereiten können, um sich diese Peinlichkeit zu ersparen - ansonsten fand ich ihn nett. Auch der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Dr. Ralf Brauksiepe (CDU) war seiner Aufgabe nicht gewachsen. Offensichtlich hatte er sich nicht mit dem Gutachten der Wirtschaftsweisen über das Grundeinkommen und dem wissenschaftlichen Kommentar von Wolfgang Strengmann-Kuhn dazu beschäftigt. Ansonsten hätte er sich fundierter und sachlicher zu bezahlter Arbeit und Grundeinkommen äußern können und nicht nur Probleme bei \"Arbeitsanreizen\" gesehen. Dass sich diese Unfähigkeit nun auch in dem Abschlussdokument der Petition wiederspiegelt, ist mehr als peinlich. Welche oberflächliche und auch überhebliche Demokratie-Verwaltung leisten wir Deutschen uns eigentlich? Die Schweiz mit ihrer Volksinitiative Grundeinkommen scheint mir da weiter zu sein.

Detlef Jahn schrieb am 12.08.2013, 18:58 Uhr

\"Welche oberflächliche und auch überhebliche Demokratie-Verwaltung leisten wir Deutschen uns eigentlich?\" Nun ja... Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Solange nicht wieder 70.000 um den Ring marschieren, wird es kein BGE geben. Und glaubt ja nicht, dass diesmal diese Demonstrationen wieder friedlich ablaufen würden! DIESES System ist bei weitem wehrhafter und demonstriert das auch sehr offensiv, wie bereits bei so vergleichsweise geringfügigen Problemchen wie in Stuttgart vorgeführt wurde. Solange wir uns hier im Internet gegenseitig auf die Schultern klopfen, ist das den Entscheidern völlig schnuppe – da hat wenigstens die NSA was zu tun...

Die Ablehnungsbegründung strotzt nicht gerade von Sachkenntnis. Aber es muss angemerkt werden, dass die Frau Wiest zwar empathisch sehr überzeugend, aber in der Sache und in Detailfragen, doch an vielen Stellen etwas naiv wirkte. Wenn man einen solchen Sprung geschafft hat (wovor ich ehrfürchtig meinen Hut ziehe!), sollte man doch in der Sache etwas definierter präpariert sein und nicht so ziel- und planlos menschelnd versuchen, knallharte Genger zu überzeugen. Was hat die Gute denn erwartet - ein gemütlichen Beisammensitzen und Plaudern? Wie ernsthaft war denn ihr Versuch gemeint, ein BGE wirklich werden zu lassen? Man kann eine solche Sache nicht starten und dann nur Kuschelargumente bringen, wo ein Gegner klare Fakten und Zahlen hören will. Das war gut gemeint (und völlig richtig), wurde aber falsch umgesetzt. Das Urteil war erwartbar.

Statt hier nun zu jammern und uns gegenseitig zu bestätigen, welch bedauerliche Politiker wir haben, sollten wir überlegen, wie wir den nächsten Versuch besser machen können, wen wir als Nächsten in den Ring schicken. Ich finde Frau Wiest sehr sympathisch und sie hat eine gewisse Art Gelassenheit, die auch einen entwaffnenden und emotional einnehmenden Diskussionsvorteil bietet. Aber es ist etwas anderes, ob ich ein Publikum begeistern oder einen Entscheider überzeugen will.

Juergen Rettel schrieb am 17.08.2013, 15:06 Uhr

Grundeinkommen ist nur der GG-gebotene und damit bedingungslose Familienausgleich. Wer mehr Prokopfeinkommen verdient als Familienmitglieder versorgt, gibt von den überzähligen Prokopfeinkommen die Grundeinkommensanteile an jene ab, die weniger Prokopfeinkommen verdienen als Familienmitglieder versorgen. Und das reduziert die öffentlichen Haushalte um ein Drittel gegenüber heute, denn der Familienausgleich ist keine Staatsleistung, sondern die familiengerechte Zuordnung der (halben) Freibeträge.

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