Arbeitender Souverän – ohne Grundeinkommen?
Axel Honneth, Sozialphilosoph und ehemaliger Direktor des in der akademischen Gesellschaftskritik einflussreichen und in der Tradition der Kritischen Theorie stehenden Frankfurter Instituts für Sozialforschung, setzt sich in seinem neuesten Buch mit einem der „größten Mängel(n) fast aller Theorien der Demokratie“ auseinander. Sie, so Honneth, übersehen in aller Regel, dass die „meisten Mitglieder des von ihnen lauthals beschworenen Souveräns stets auch arbeitende Subjekte sind“. Die Arbeitsverhältnisse, in denen sie stehen, prägen sie und haben gravierende Auswirkungen auf ihre Befähigung zur demokratischen Teilhabe.
Nach einem Ritt durch die Geschichte der Arbeitsverhältnisse seit Beginn des Kapitalismus (und der Demokratie) erweitert Honneth die bekannte Kritik, sie seien entfremdet und es mangele ihnen an Autonomie, um einen dritten Punkt: Sie erlauben es vielfach kaum, die Arbeitenden in den Prozess der demokratischen Willensbildung wirklich aufzunehmen. Honneth unterscheidet fünf Hinsichten, in denen die „Chance zur Teilnahme an den Praktiken der öffentlichen Willensbildung in starkem Maße durch den Charakter der Position in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung bestimmt“ werde.
Die erste ist, ob die Person ökonomisch unabhängig sei und nicht ständig die Gefahr des ökonomischen Abstiegs über ihr schwebt. Zweitens sei ein gewisses Quantum freier Zeit nötig. Diese beiden Punkte sind in der Grundeinkommensbewegung häufig schon genannt worden – Katja Kipping sprach einst vom Grundeinkommen als „Demokratiepauschale“. Drittens, so Honneth, verlange die Teilnahme an der demokratischen Öffentlichkeit ein gewisses Maß an Selbstachtung und Selbstwertgefühl. Ansonsten mangele es an „Zutrauen, dass die eigenen Beiträge es wert sind, öffentlich gehört zu werden“. Viertens sei das Einüben demokratischer Praktiken, zu denen auch Dialogbereitschaft gehört, schwer gestört bzw. nicht möglich, wenn die Subjekte in der Arbeitswelt lediglich Befehlsempfänger sind. Es nütze auch nichts, wenn man in der Schule den idealen Diskurs unter Gleichberechtigten übe, mit dem Eintritt ins Arbeitsleben aber das Gegenteil prämiert wird. Fünftens wirke sich auch die Stupidität der Arbeit auf die Fähigkeit der aktiven Teilnahme an der Demokratie aus: „Je eintöniger, intellektuell anspruchsloser und repetitiver die Arbeit ist, die eine Person zu verrichten hat, desto eingeschränkter ist ihre Fähigkeit, aus eigener Kraft Initiativen zur Veränderung ihrer Lebenslage und ihrer gesellschaftlichen Umwelt zu ergreifen“.
Honneth sieht nun in der Arbeitsgesellschaft der Gegenwart, zu der er auch die unbezahlte Arbeit zählt, eine Reihe von Tendenzen, die die Anforderungen echter demokratischer Teilhabe weitgehend hinterlaufen: Erfahrungsbasiertes Wissen und Kontakte nehmen ab, isolierte Arbeitssituationen hingegen zu. Es vollziehe sich eine weitere Kommodifizierung (Zur-Ware-Werdung) häuslicher und sozialer Dienste sowie eine Prekarisierung.
Um die Basis der Demokratie zu verbessern, gebe es entweder die Möglichkeit, die Arbeit zu verbessern oder aber sie unwichtiger zu machen und für eine „politische Demokratie ohne Bindung an die Sphäre der gesellschaftlichen Arbeit“ zu streiten. Letzteres sei das Anliegen des BGE. Das könne aber nicht klappen, da es die „Rechnung ohne den Wirt“ mache. Der sorge durch die soziale Arbeitsteilung dafür, „unter den Gesellschaftsmitgliedern ein Bewusstsein gemeinschaftlicher Verantwortung zu wecken“, ohne dass „ein Sinn für die Aufgaben der demokratischen Willensbildung erst gar nicht entstehen könnte“. Solange man nicht wisse, dass die Lasten der wirtschaftlichen Aufrechterhaltung des politischen Gemeinwesens von „allen Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam getragen werden“, würde man auch keinen Grund dafür sehen, sich für das Gemeinwesen im politischen Meinungsaustausch überhaupt einzusetzen. Eine demokratische Willensbildung „ohne den Unterbau eines Systems geregelter Arbeitsteilung“ wäre wie eine Privatveranstaltung, an der man teilnehmen könne oder auch nicht.
Honneth räumt zwar ein, dass mit einem BGE die Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt gestärkt und damit Verbesserungen der Arbeitsbedingungen besser durchgesetzt werden könnten. Damit räumt er ein, dass es den Autonomiemangel der Arbeitenden reduzieren könnte, dessen Bestehen er selbst als zentrales Problem der Arbeitsverhältnisse ausgemacht hat. Das ginge aber zu Lasten des Eingebunden-Seins in die kollektive gewerkschaftliche Verhandlungs- und Gestaltungsmacht, denn das BGE orientiere auf individualistisches Herangehen. Die Leute interessiere die kollektive Situation dann nicht mehr und sie gingen raus aus Gewerkschaften. Am Ende würde das der Masse der Beschäftigten schaden.
Also, so Honneth, bleibe nur, die Arbeitswelt durch eine „neue Politik der Arbeit“ zu demokratisieren. Da gebe es zwei Strategien. Die eine besteht darin, Alternativen zum Arbeitsmarkt (der aber bestehen bleibt) zu stärken, wie die Arbeit in Kooperativen oder auch freiwillige und verpflichtende Dienste (z. B. Soziales Jahr). Die andere dreht sich um die Verbesserung der Bedingungen im Arbeitsmarkt selbst. Ihre Bestimmung entfaltet Honneth wie folgt entlang der fünf zuvor analysierten Dimensionen, die die Chancen zur demokratischen Teilhabe maßgeblich bedingen.
Erstens soll die ökonomische Unabhängigkeit dadurch gestärkt werden, weitgehend zum Normalarbeitsverhältnis zurückzukehren und damit aufzuhören, im Bezug von Arbeitslosengeld jeden Job annehmen zu müssen. Zweitens sollen die Zeitressourcen der Arbeitenden durch Arbeitszeitumverteilung erhöht werden. Drittens sollen Arbeitsmonotonie und -vereinsamung durch eine Neukonfiguration von Berufen reduziert werden. Eine neue Arbeitsorganisation könne viertens die Selbstachtung der Arbeitenden stärken, indem sie die berufliche Tätigkeit durch die allmähliche Integration intellektuell anspruchsvollerer Planungsaufgaben schrittweise transformiert. Durch mehr Partizipationsmöglichkeiten solle sich fünftens die Distanz zwischen den Organisationprinzipien im Betrieb (Hierarchie) und der Politik (Mitbestimmung) verringern. Das alles seien „harte Bretter“, die nur „langsam gebohrt“ werden könnten, aber eine solche „Politik für demokratische Arbeit“ müsse in Zeiten – in denen die Arbeitsbedingungen mehr oder weniger hingenommen werden und sich nur „leise Widerstand des arbeitenden Souveräns“ regt – wieder „ganz unten“ anfangen. Verbal „auftrumpfende Revolutionshoffnungen“ seien hingegen nicht anschlussfähig.
Soweit der reformistische Ansatz, die Arbeitsverhältnisse radikal zu demokratisieren. Honneths Analyse der wunden Punkte in der Organisation der gesellschaftlichen Arbeit, einschließlich ihrer Wirkung auf die Teilnahme und Stellung zur Demokratie, ist ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Debatte um Demokratiemüdigkeit, Rechtspopulismus, Faschisierung etc. Denn in ihr wurden in der Tat die Arbeitsverhältnisse bisher weitgehend ausklammert. Unverständlich bleibt, warum Honneth das bedingungslose Grundeinkommen oder Vorformen davon vorschnell abkanzelt. Genau die Dimensionen, die den von ihm diagnostizierten demokratiegefährdenden Mangel in der Arbeitsorganisation kennzeichnen, könnte ein BGE radikal ändern: Es verringert die Erpressbarkeit und erhöht damit die Autonomie auf dem Arbeitsmarkt, es stellt Zeit für die Teilnahme an der Demokratie zur Verfügung, es ist die Basis zur Durchsetzung einer Arbeitsqualität und -organisation, die die Selbstachtung stärkt und das demokratische Prinzip der Partizipation auch im Betrieb ermöglicht.
Axel Honneth 2023: Der arbeitende Souverän. Eine normative Theorie der Arbeit. Suhrkamp Verlag Berlin. 30,00 €
Zum Autor: Dr. Ulrich Schachtschneider arbeitet als Energieberater und freier Sozialwissenschaftler. Er ist Mitglied des FRIBIS Teams UBITrans (Grundeinkommen und sozial-ökologische Transformation).