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Auch Studien zum Grundeinkommen müssen vollständig veröffentlicht werden!

Die Innsbrucker Studie zum Grundeinkommen [1] (hier als pdf-Datei [2]), die von Götz Werner mitfinanziert wurde, zeigt: Das Grundeinkommen kennen 37,5 Prozent der Befragten. Gut die Hälfte der Befragten sieht das Grundeinkommen positiv, wobei der Grad der Zustimmung mit steigendem Bildungsgrad abnimmt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen hätte nach dieser Studie keinen nennenswerten Einfluss auf das gesamte Erwerbsarbeitsvolumen in Deutschland: 72 Prozent der befragten Erwerbstätigen würden weiterarbeiten wie bisher. Ein Teil der Erwerbstätigen würde weniger arbeiten – insbesondere Vollzeiterwerbstätige. Das wäre aber dadurch vollständig kompensiert, dass bisher nicht Erwerbstätige arbeiten würden.

Dieses Ergebnis der Studie bestätigt, was aus Studien zu Arbeitszeitpräferenzen, die ich bereits vor Jahren in dem Beitrag Weniger arbeiten! [3] besprochen habe, bekannt ist: Ein Grundeinkommen, welches faktisch einen bestimmten Teil des ausfallenden Erwerbseinkommens bei individueller Erwerbsarbeitszeitverkürzung ersetzt, könnte tatsächlich eine solidarische Zurückhaltung des Erwerbsangebotes vollzeitarbeitender Erwerbstätiger zugunsten derjenigen befördern, die eine Erwerbsarbeit aufnehmen oder ausweiten wollen. Das war auch der Sinn des Grundeinkommensvorschlages von Michael Sommer [4].

Die Studie der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung wurde bisher nur in Auszügen veröffentlicht, was eine Gefahr birgt: Sie kann als Auftragsstudie [5] diffamiert werden, die das bestätigen soll, was die Auftraggeber oder Finanziers gern hören würden. Sie muss daher vollständig offen gelegt werden, damit sie auf ihren tatsächlichen Aussagewert hin überprüfbar wird.

Ein Beispiel: Höhe und konkrete Ausgestaltung eines Grundeinkommens sind zwar keinesfalls die einzigen Kriterien dafür, wie die Menschen zur Erwerbsarbeit stehen, aber auch keine unwesentlichen. Sie beeinflussen die Antworten zur Verkürzung der individuellen Arbeitszeit bzw. zum Erwerbsarbeitsverhalten. Über die Höhe des Grundeinkommens, welches der Befragung zugrunde gelegt wurde, erfahren die Leserinnen und Leser der Veröffentlichungen aber nichts. Auf Nachfrage hat mir die Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung Innsbruck mitgeteilt, wie das Grundeinkommen in der Studie erläutert wurde: „Jeder Bürger und jede Bürgerin erhält von Geburt an ein Leben lang vom Staat monatlich bedingungslos ein Grundeinkommen, das über das Existenzminimum hinausreicht und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben (Kino, Restaurant, Sport,…) ermöglicht. Alle heutigen Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Kindergeld, Renten,…) werden durch das bedingungslose Grundeinkommen ersetzt bzw. abgedeckt. [1] Mit den derzeitigen Einnahmen aus Steuern und Abgaben ist ein derartiges System finanzierbar. Durch Arbeit kann man wie bisher ein Einkommen erzielen, wobei man das bedingungslose Grundeinkommen NICHT verliert.“ Diese Erläuterung zum Grundeinkommen lässt zwar auf eine Höhe schließen, die deutlich über dem jetzigen durchschnittlichen Hartz-IV-Satz (649 Euro mit als angemessen anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung) liegt; der Befragte kann aber auch an 1.200 Euro oder mehr denken. Der vermutete Betrag aber beeinflusst die Antwort.

Unklar ist außerdem in der Erläuterung, wie viel über das Grundeinkommen hinaus durch Erwerbseinkommen erzielt werden kann. In den Studienergebnissen wird nahe gelegt, dass das erhöhte Arbeitsangebot von bisher nicht Erwerbstätigen darauf zurückzuführen sei, dass erzieltes Erwerbseinkommen nicht zum Verlust der staatlichen Transferleistung Grundeinkommen führt – im Gegensatz zu bedürftigkeitsgeprüften staatlichen Transfersystemen, die bei Erwerbseinkommen den Transferbetrag stark reduzieren oder den Transfer ganz versagen. Im Falle des substitutiven Ansatzes, wie ihn Götz Werner präferiert, ersetzt in der Einführungsphase das Grundeinkommen den entsprechenden Teil des bisherigen Erwerbseinkommens: Das heißt, die Erwerbseinkommensentzugsrate beträgt 100 Prozent des Grundeinkommens. Wer bisher 1.000 Euro in einem Job verdient hat, erzielt bei einem Grundeinkommen von 1.000 Euro für diesen Job keinen zusätzlichen Verdienst mehr. Bei 1.500 Euro bisherigem Verdienst würden nur 500 Euro Erwerbseinkommen vom Unternehmen gezahlt.

Ferner wird mit der oben ausgeführten Erläuterung des Grundeinkommens nicht deutlich, ob aus dem Grundeinkommen auch die eigene Kranken- und Pflegeversicherung bezahlt werden müsste oder nicht. Das können Beträge weit über einhundert Euro sein, die dann die verfügbaren Mittel für die Existenz- und Teilhabesicherung erheblich minimieren.

Alle diese im Kopf der Befragten ablaufenden Überlegungen können Antworten der Befragten bezüglich Ablehnung bzw. Zustimmung zum Grundeinkommen und bezüglich des Erwerbsverhaltens stark beeinflussen – und zwar auch unterschiedlich in den unterschiedlichen Einkommens-, Alters-, Status- und Bildungsgruppen. Diese Feststellung ist nicht trivial. Sie kann mögliche Zweifel an den Studienergebnissen rechtfertigen. Dies erst recht vor dem Hintergrund der ganz knappen Zustimmung zum Grundeinkommen: Je nachdem, wie das Grundeinkommen im Detail aussehen soll, könnte nämlich die knappe Zustimmung in eine größere Ablehnung kippen oder eine bedeutend höhere Zustimmung zur Folge haben.

 

Die zweite Studie wurde von Hermann Binkert, Ex-Staatssekretär unter Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus und Leiter des „Instituts für neue soziale Antworten“ (INSA), in Auftrag gegeben. Diese Studie [6], die von FORSA erstellt wurde, kommt zu anderen Aussagen über das Grundeinkommen als die von Götz Werner finanzierte. Sie erteilt einer Grundeinkommenshöhe, wie sie z. B. das Netzwerk Grundeinkommen anstrebt, eine Absage. Denn bei einem Grundeinkommensbetrag, der die Existenz und Teilhabe sichert, sei die Erwerbsarbeitsgesellschaft in Gefahr, weil dann viele Menschen aufhören würden zu arbeiten. Allerdings: Auch hier liegen die konkreten Fragen der Studie nicht öffentlich vor, ebenso wenig das ausführlich dargestellte Ergebnis aus den Antworten der über eintausend Befragten. Lediglich ein paar Zahlen aus der Studie wurden im Buch Solidarisches Bürgergeld [7] (Hrsg. Dieter Althaus/Hermann Binkert) und auf der Website des Instituts für neue soziale Antworten veröffentlicht. In dem Buch heißt es, „dass 55% der befragten heute Erwerbstätigen (!) bei einem bedingungslosen Grundeinkommen von 1.600 Euro Höhe im Monat nicht mehr in ihrem Job arbeiten würden. Mehr als jeder Dritte (36%) würde bei einem Grundeinkommen von 1.200 Euro Grundeinkommen nicht mehr erwerbstätig sein, bei einem Grundeinkommen von 800 Euro würden 12 % nicht mehr arbeiten. [2] Bei einem Grundeinkommen von 400 Euro, also dem Nettobetrag des Solidarischen Bürgergeldes, sind es nur noch ein Prozent der Befragten, die auf Erwerbsarbeit verzichten würden.“ (S. 208)

Hier rufen schon die Aussagen „nicht mehr in ihrem Job arbeiten“ und „nicht mehr erwerbstätig sein“ die Skeptikerinnen und Skeptiker auf den Plan. Denn es ist bekanntlich ein großer Unterschied, ob jemand den bisherigen Job aufgeben oder generell der Erwerbsarbeit Ade sagen will. Dieser Widerspruch ist aber nicht erklärbar, weil die konkrete Fragestellung und Antwortvorgabe nicht vorliegt. Ebenso verhält es sich mit dem Thema „individuelle Arbeitszeitverkürzung statt genereller Aufgabe der Erwerbsarbeit“. Darüber wurde in der bisherigen Veröffentlichung nichts gesagt. Auch nichts über einen Einstieg Nichterwerbstätiger in den Arbeitsmarkt. Beides wäre einer wünschenswerten Umverteilung von Erwerbsarbeit förderlich. Für eine umfassende und differenzierte Betrachtung ist das bisher zur Studie Veröffentlichte nicht geeignet.

„Insgesamt stützt das unser Konzept vom solidarischen Bürgergeld, gerade auch in der von uns geplanten Höhe“, sagte der Institutsleiter Hermann Binkert dem MDR THÜRINGEN [6]. Das modifizierte Bürgergeld [8] nach Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus beträgt nämlich genau 400 Euro (netto, dazu kommen 200 Euro Gesundheitsprämie). Auch hier wäre es notwendig, Fragen und konkrete Ergebnisse der Studie zu veröffentlichen, um eine halbwegs sichere Interpretation zu ermöglichen. Nicht nur wegen des möglichen Vorwurfs, die Studie solle das eigene Konzept absichern, sondern auch vor dem Hintergrund folgender Fragen: War den Befragten klar, dass im Bedarfsfall, also nach einer Bedürftigkeitsprüfung, beim Solidarischen Bürgergeld die als angemessen anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung wie bei Hartz IV übernommen werden (derzeit durchschnittlich rund 290 Euro für eine/n Alleinstehend/n)? War den Befragten klar, dass zur Finanzierung des Solidarischen Bürgergelds von 400 Euro netto neben der Flat Tax von 40 Prozent auf alle Einkommen auch eine erhöhte Mehrwertsteuer für kulturelle und sportliche Angebote, für Bücher, Zeitschriften und Zeitungen sowie für den öffentlichen Nahverkehr eingeführt werden soll, und zwar eine Erhöhung von sieben auf 19 Prozent? Das hätte schließlich eine enorme Preiserhöhung für die genannten Güter und Dienstleistungen zur Folge, also eine nicht unerhebliche Minderung der realen Kaufkraft des Bürgergelds und damit der Möglichkeit zur sozialen, politischen und kulturellen Teilhabe. Hätten die Befragten das gewusst, hätten sie womöglich anders geantwortet und vielleicht bedeutend höhere bedingungslose Transfers für notwendig erklärt?

Immerhin hat das bisher zur INSA/FORSA-Studie Veröffentlichte den Charme, dass ein beliebtes Argument der Grundeinkommensbefürwortenden vermutlich bestätigt wird: Auf der sicheren Basis eines Grundeinkommens sehen sich Menschen in der Lage, ungewollte – also wenig sinnstiftende – Erwerbstätigkeit oder solche mit schlechten Arbeitsbedingungen abzulehnen. Bei einer tatsächlich existenz- und teilhabesichernden Höhe des Transfers (ab ca. 800 Euro, tendenziell 1.000 netto; vgl. Blaschke 2010, Kapitel 2 [9]) tritt dieser mögliche Freiheitseffekt nämlich ein. Das heißt im Umkehrschluss: Bei einem partiellen Grundeinkommen, also einem Transfer unterhalb der Existenz- und Teilhabesicherung wie bei dem Bürgergeld nach Althaus, würde dieses Mehr an individueller Freiheit ausbleiben.

Die konkreten Fragen und Ergebnisse der INSA-/FORSA-Studie liegen leider nicht vor. So lassen sich viele Interpretationen aus dieser Studie nicht belegen. Auch kann der Vorwurf, es sollten „passgerechte“ Studienergebnisse präsentiert werden, um die Vorstellung des Bürgergeld-Konzepts von Dieter Althaus zu unterstützen, nicht entkräftet werden.

Fazit der Überlegungen:

So lobenswert es ist, Studien zum Grundeinkommen anzufertigen, so schlecht ist es, diese nicht im vollen Umfang zu veröffentlichen. Das gilt für die beiden genannten Studien genauso wie für die Studie im Auftrag der Partei DIE LINKE [10], in der nach der Zustimmung der Wählerinnen und Wähler zum Grundeinkommen gefragt und diese mit 66 Prozent angegeben wurde, was die Aussage der o. g. Innsbrucker Studie stützen würde. Aber auch diese LINKEN-Studie wurde bis heute nicht veröffentlicht.

Es geht hier nicht nur darum, dass man Studien mit der Frage nach „was wäre wenn“ kritisch gegenüber stehen kann. Es geht darüber hinaus auch darum, dass eine Nichtveröffentlichung immer den Verdacht der Gegnerinnen und Gegner eines Grundeinkommens nährt, es würden Gefälligkeitsstudien erstellt, ohne eine Möglichkeit, diese nachzuprüfen. Die Bürgerinnen und Bürger sollten also bald die vollständigen Studien lesen können.

 

[1] Diese Formulierung stimmt exakt mit dem Grundeinkommensansatz von Götz Werner überein: Ersetzung aller monetären Sozialleistungen durch das Grundeinkommen. Mehr dazu hier [11] und hier [12].

 

[2] Bis hierher ist nicht klar, ob ein Nettobetrag des Grundeinkommens gemeint ist oder ein Grundeinkommen, welches die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung beinhaltet.

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1 Comment To "Auch Studien zum Grundeinkommen müssen vollständig veröffentlicht werden!"

#1 Comment By Ludwig Paul Häußner On 01.12.10 @ 09:56

Der ungeheuerliche “Kapitalist”?

Wie kann es sein, dass ein Unternehmer sich so stark für ein bedinungungsloses Grundeinkommen engagiert? Aus sozialistischer Perspektive erscheint das schon beinahe ungeheuerlich.

Das bedinungslose Grundeinkommen wird aus der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung finanziert. Aus rund 2,4 Billionen Euro Wertschöpfung werden z.B. 800 Milliarden Euro als Grund-Einkommen pro BürgerIn ausgezahlt bzw. mit den übrigen Einkommen aus Erwerbsarbeit, Zinsen, Dividenden oder bisherigen Sozialtransfers verrechnet (über die persönliche Steueridentifikationsnummer); das wären rund 10.000 Euro BGE jährlich.

Wir können aber auch die Pfändungstabelle heranziehen für einen BGE-Wert heranziehen. Die Pfändungstabelle gibt Aufschluss darüber, welcher Teil des Nettoeinkommens gepfändet werden kann. Die unpfändbaren Beträge dienen der Sicherung des Existenzminimums des Schuldners und seiner Familie.

In der Regel erfolgt die Berechnung des pfändbaren Anteils anhand des monatlichen Netto-Arbeitseinkommens, jedoch gibt es auch Tabellen für die Pfändungsgrenzen bei wöchentlichem oder täglichem Nettolohn.

Die Pfändungstabelle beginnt bei der Pfändungsfreigrenze von 989,99 € netto im Monat. Die Höhe der darin zugrunde gelegten Pfändungsgrenzen ist jedoch abhängig von der Anzahl der unterhaltsberechtigten Familienangehörigen. So darf ein verheirateter Familienvater mit zwei Kindern beispielsweise bis zu 1.769,99 € netto im Monat verdienen, ohne dass ihm ein Teil des Einkommens gepfändet werden darf. Mit dem Pfändungsfreibetrag hätte wir einen Richtwert für ein BGE von rund 1.000 Euro monatlich.

Von den derzeitigen HARTZ-IV-Sätzen zum Pfändungsfreibetrag (= z. B. BGE) ist es ein schrittweiser Prozess. Dieser Überang muss so gestaltet werden, damit weitere Erwerbsarbeit sich lohnt.

Mögliche Übergänge beschreibt André Presse in seiner Dissertation – und die ist veröffentlicht und als kostenloser Download erhältlich.
[13]
An dem “Götz-Werner-Modell” ist also nichts Ungeheuerliches.

Dr. Ludwig Paul Häußner, Karlsruhe