Grundeinkommen, Automatisierung und das Märchen vom Roboter-Schlaraffenland

Eric Manneschmidt 29.12.2016 Druckversion

In der Grundeinkommensszene hören wir oft das Argument, wir bräuchten ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), weil uns Roboter bzw. Maschinen immer mehr Arbeit abnähmen und daher zumindest die freigesetzten „Überflüssigen“ eine alternative Existenzmöglichkeit benötigten.1 Manchmal wird noch weiter gegangen und postuliert, dass dann niemand mehr arbeiten müsse und wir eigentlich in dieser schönen Zukunft alle nur noch Künstler sein würden.

Diese Argumentation hat einige Tücken.

Wenn wir von Automation reden, denken wir immer implizit Mechanisierung mit, also das Ersetzen der physischen Arbeitskraft von Menschen oder Tieren durch Maschinen. Die Mechanisierung ist eng mit der industriellen Revolution verbunden und hat einen gigantischen Produktivitätsschub gebracht. Allerdings hat sie auch eine erhebliche Zerstörungskraft gegenüber Mensch und Umwelt entfaltet – und in mancherlei Hinsicht eher den Menschen der Maschine unterworfen als umgekehrt. Beispiele dafür sind Schichtarbeit und andere Anpassungen des Biorhythmus an Industrievorgaben, regelmäßiger Konsum leistungssteigernder Substanzen, die autofreundliche Stadt als Leitbild, und generell Verlärmung, Verschmutzung und Flächenverbrauch durch alle motorisierten Verkehrsträger sowie die Industrieproduktion selbst. Der stark gestiegene Ressourcenverbrauch und Energiehunger der Industriegesellschaften führen seit Jahrzehnten regelmäßig zu Kriegen und Umweltzerstörung. In Form des Klimawandels, der Verschmutzung der Gewässer und der Bodendegradation wird er sogar zur Bedrohung für die Zivilisation selbst.

Die Automatisierung dieser mechanisierten Produktionsprozesse nahm ebenfalls zu, so dass nicht nur der Einsatz der menschlichen Körperkraft, sondern auch der Einsatz des Menschen bei der Steuerung der Maschinen und Abläufe in Produktion, Verwaltung und Logistik immer entbehrlicher wurde. Auch dieser Vorgang war Segen und Fluch zugleich, denn einerseits wurden viele Menschen von wenig erfüllender, gefährlicher oder gesundheitsschädlicher Arbeit befreit, andererseits gäbe es ohne Automatisierung wohl keine Tabakepidemie mit jährlich sechs Mio. Toten2, keine Überproduktion mit geplanter Obsoleszenz und Bergen von Wohlstandsmüll3 und auch nicht den gesamtökonomisch völlig sinnlosen Hochfrequenzhandel. Alles Phänomene, die langfristig mehr (meist unbezahlte) Arbeit verursachen sowie Nerven, Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit kosten.4

Auch im Bereich der Werbung wird die Autonomie des Individuums durch automatisierte Datensammelei und mithilfe von ausgeklügelten Algorithmen gestrickte individualisierte „Kundenansprache“ eher geschwächt als gestärkt. Überwachung durch Drohnen und Software stellt eine grundsätzliche Bedrohung der Bürgerrechte dar. Zukunftsszenarien, in denen der Mensch mit Hilfe der neuen Technologien vollständig fremdbestimmt ist, sind in Film und Literatur reichlich vorhanden, viele davon erschreckend realistisch.

Es kommt sowohl bei Mechanisierung als auch bei Automatisierung also darauf an, was wir daraus machen.

Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, Maschinen dosiert und „smart“ einzusetzen, künstliche Intelligenz darauf zu trainieren, Ressourcenverbrauch zu minimieren statt Produktion und Profit zu maximieren – und dabei datensparsam und menschenfreundlich vorzugehen. Doch das ist noch der Ausnahmefall. Außerdem gibt es Rebound-Effekte5, die etwaige Effizienzgewinne oftmals wieder auffressen.

Das Problem der sehr ungleichen Verteilung der erzielten Gewinne ließe sich mit einem (weltweiten!) BGE wohl lösen. Es bleibt aber die sehr reale Gefahr, dass wir uns (weiterhin) der – dann auch noch intelligenten – Maschine unterwerfen6, statt uns diese dienstbar zu machen, und noch dazu unsere natürlichen Lebensgrundlagen, die ja auch noch für unsere Nachkommen wichtig sind, dem etwas schalen Traum vom Roboter-Schlaraffenland opfern.7

Müssen wir ja gar nicht.

Fakt ist: Wir brauchen Automation weder, um die Notwendigkeit der Einführung des BGE zu begründen, noch um dieses zu finanzieren.

Das Bedingungslose Grundeinkommen soll in großem Stil Kooperation ermöglichen – nicht nur, und nicht unbedingt, Arbeitsteilung. Es ist die sozioökonomische Synthese zweier menschlicher Grundbedürfnisse, nämlich nach Autonomie und nach Verbundenheit8. Es ging beim BGE nie um die Abschaffung der Arbeit, sondern darum, diese individuell und gesamtgesellschaftlich mit Sinn zu füllen und sie im Einvernehmen untereinander besser zu verteilen. In dem Slogan “die Roboter nehmen uns die Arbeit ab“ ist davon wenig zu spüren. Da Roboter schwerlich Sinnfragen beantworten können, klingt das eher so, als ginge es darum, den Menschen noch weiter auf eine passive Rolle als unersättlichen Konsumenten zu reduzieren. Entsprechend harsch ist dann zuweilen die Kritik – am BGE.9

Außerdem geht in der ganzen Diskussion die nicht oder nur eingeschränkt automatisierbare und mechanisierbare – oft unbezahlte und unsichtbare – Arbeit wieder einmal unter bzw. kommt nur zum kleinen Teil vor: das kreative Schöpfertum und die weniger hippe, aber existenzielle Sorge- und Demokratiearbeit. Und diese Arbeit muss – Automation hin, Grundeinkommen her – einfach gemacht werden.10

Zwar können Maschinen und Software dabei durchaus hilfreich sein, aber es braucht eben immer den Menschen, der sich kümmert: um sich, seine unmittelbar Nächsten und die Gesellschaft als Ganzes. Damit er dies tut, braucht es eine Bindung an die Gemeinschaft, und die würde durch ein gemeinsam beschlossenes Grundeinkommen vermittelt und gestärkt.

Das zentrale Ziel des BGE ist es, Menschen die psychisch und physisch existenziellen künstlerischen, gesellschaftlichen und sorgenden Arbeiten ohne existenzbedrohende Selbstaufopferung zu ermöglichen. Keine Angst vor Altersarmut bei Müttern und Vätern, kein auf Selbstausbeutung gegründetes Engagement von Sozialarbeitern, Menschenrechtlern, Umweltschützern, Tüftlern, Nachwuchsakademikern, Flüchtlingshelfern und Journalisten: Das ist das Ziel des BGE und zwar eines, das nicht von technologischer Entwicklung oder der Verfügbarkeit bestimmter Rohstoffe oder Technologien abhängig ist oder sein darf. Dieses Ziel – und nicht der Verweis auf eine ohnehin nur in beschränktem Maße mögliche (und vielleicht auch nicht immer wünschenswerte) Automatisierung – ist das grundlegende Argument für ein BGE.

Finanzierbar ist das BGE sowieso, dazu braucht es keine Roboter. Denn die Finanzierbarkeit entscheidet sich erstens an der Höhe des gemeinsam als soziokulturelles Minimum festgelegten Lebensstandards und zweitens an der gemeinschaftlich erbrachten Produktionsleistung zuzüglich bereits existierender Werte (wie Wohnraum, Infrastruktur, Wissen).

Theoretisch könnte ein BGE in einer rein agrarischen Gesellschaft eingeführt werden, indem jedes Jahr ein Zahlungsmittel an alle Mitglieder der Gemeinschaft verschenkt wird, in gleicher Höhe pro Kopf, für das sie die landwirtschaftlichen Überschüsse anderer auf einem Markt erwerben können. Wichtig ist die gemeinsame Abstimmung über die Höhe des Grundeinkommens, damit die entsprechende Besteuerung der Gewinne oder Umsätze derjenigen, die ihre Produkte absetzen können, legitimiert und durchsetzbar ist.
Es wäre eine solidarische Gesellschaft ohne Bevormundung – und ohne Roboter.

Auf dieser – rein theoretischen – Grundlage lässt sich eine technologische Entwicklung denken, die jederzeit reflektiert und am Gemeinwohl ausgerichtet ist.

Denn es wäre auch deswegen fatal, das BGE an der Automation anzuhängen, weil wir zu dieser dann keine Alternative mehr hätten. Das erinnert doch sehr an die marxistisch-leninistische Ideologie, dass ohne forcierte Industrialisierung, oft genug über Leichen gehend, das gute Leben nicht zu erreichen sei. Mit der Folge, dass am Ende trotz aller Leichenberge und Umweltsauereien nur eine kleine Elite von Privilegierten, Funktionären und Oligarchen ein einigermaßen sorgloses oder doch zumindest luxuriöses Leben führt, sich das Heilsversprechen für die Masse jedoch keineswegs erfüllt.11
Automatisierung oder Digitalisierung führt nicht automatisch zum BGE und darf nie alternativlos sein; schon allein deswegen können wir das BGE nicht darauf gründen.12

Mit dem BGE einzusteigen in eine wirklich kooperative Gesellschaftsform ist einfach nur eine Frage des politischen Willens und letztlich vollkommen unabhängig von irgendeiner bestimmten technologischen Entwicklung.13 Es ist wichtig, dass alle BGE-Befürworter dies begreifen.

 


 

  1.  Interview mit Telekom-Chef Höttges
    Interview mit SAP-Vorstand Leukert
    Interview mit Investor A. Wenger
    FsV-Thesen: 1. Heute aber wird menschliche Arbeitskraft mehr und mehr durch „Maschinen“ (Automaten, Computersoftware) ersetzt. 3. Innovationen (…) ermöglichen es Arbeitsabläufe zu automatisieren und menschliche Arbeitskraft einzusparen. 4. Freiheit der Bürger ist auch Freiheit von unnötiger Arbeit, die durch programmierbare Automaten verrichtet werden kann. 7. (…) dass Bürger – ohne Not – dauerhaft zu Tätigkeiten gezwungen werden, die automatisierbar sind. Automatisierbare Arbeit ist ersetzbare Arbeit; ersetzbare Arbeit kann nicht sinnstiftend sein.
    Erklärung von Davos
  2.  Robert N. Proctor: Golden Holocaust. Origins of the Cigarette Catastrophe and the Case for Abolition. Auf der anderen Seite der wunderbaren Automatisierung der Tabakindustrie in Deutschland und anderen Industrienationen gehört Kinderarbeit zum Standard in den Anbauländern des Globalen Südens, siehe unfairtobacco.org – ein Muster, das sich so ähnlich wohl auch zeigt, wo die für die Digitalisierung und Automation relevanten Rohstoffe oft unter erbärmlichen Umständen von praktisch rechtlosen Menschen aus der Erde gekratzt werden – in Handarbeit.
    Die Kosten des Rauchens in Deutschland
  3.  Siehe z. B. http://www.sueddeutsche.de/wissen/kunststoff-im-ozean-mehr-plastik-als-fische-im-meer-1.2826984
  4. Nicht zu vergessen ein ganzes Bündel von Wohlstandskrankheiten aufgrund von Bewegungsmangel, Substanzmissbrauch und Fehlernährung.
  5.  Wer ein verbrauchsärmeres Auto kauft, fährt danach mehr, weil es ja weniger verbraucht: https://de.wikipedia.org/wiki/Rebound_%28%C3%96konomie%29
  6. „Auch vor den Gefahren künstlicher Intelligenz hat Hawking bereits mehrmals gewarnt. Vom Menschen geschaffene Maschinen könnten eines Tages klüger werden als ihre Schöpfer – und eine Gefahr für den Fortbestand der Menschheit darstellen.“ http://taz.de/Astrophysiker-warnt-vor-Weltuntergang/!5269262/
  7.  Manchmal sind sogar Forderungen zu vernehmen, weitere Mechanisierung/Automation auf keinen Fall z. B. durch Abgaben auf Ressourcenverbrauch oder Umweltsteuern zu hemmen, damit die Roboter auch ja zum Zuge kommen können. Dabei ist in der Tat heute schon der Produktionsfaktor Energie gegenüber dem der menschlichen Arbeit privilegiert – und Umweltkosten werden systematisch externalisiert. Richtig wäre hingegen eine derartig umfassende Besteuerung des Umweltverbrauchs, dass Maschinen nur so eingesetzt werden, dass sie einen echten Effizienzgewinn bedeuten.
    http://sfv.de/sachgeb/Energie4.htm
    http://www.umsteuern-mit-energiesteuern.de/artikel/arbeitsentlastungssteuer.html
  8.  http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/interview-mit-hirnforscher-gerald-huether-erst-die-arbeit-macht-uns-zu-menschen-13963189.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
  9.  z. B. „Rente für die Überflüssigen“ von Matthias Greffrath (14.1.16)  und „Vergesst das Bedingungslose Grundeinkommen“ von Rainer Hank (26.1.16)
  10.  Dazu auch: https://inabea.wordpress.com/2015/09/29/die-feministische-care-oekonomie-das-bedingungslose-grundeinkommen-und-postpatriarchale-religion-eine-noch-nicht-verwirklichte-allianz-fuer-das-gute-leben-aller/
  11.  Telekom-Chef Timotheus Höttges sagt: „Wir müssen unsere Gesellschaft absichern. Deswegen die Idee des Grundeinkommens. (…) Es könnte eine Lösung sein – nicht heute, nicht morgen, aber in einer Gesellschaft, die sich durch die Digitalisierung grundlegend verändert hat.“ Für ihn kommt also erst die Digitalisierung/Automation, dann das BGE. Keineswegs fordert er ein BGE, damit eine solche Gesellschaft von Existenzangst befreiter Individuen dann entscheiden kann, was und wie wir in Zukunft produzieren und uns organisieren wollen.
    http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-12/digitale-revolution-telekom-timotheus-hoettges-interview (29.12.15)
    SAP-Vorstand Bernd Leukert spricht vom „digital vernetzten Haushalt“, der eindeutig Datenschutzprobleme mit sich bringen würde und potentiell durch Hacker angreifbar wäre. Die Frage, ob wir so etwas überhaupt haben wollen, stellt sich für ihn anscheinend nicht.
    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/weltwirtschaftsforum/sap-vorstand-leukert-sagt-ein-grundeinkommen-hilft-allen-14026906.html (21.1.16)
  12.  Sehr lesenswert zur Digitalisierung als Ideologie: ‚Der Golem und du‘ von Wolf Lotter im Wirtschaftsmagazin Brand eins 07/2016
    https://www.brandeins.de/archiv/2016/digitalisierung/einleitung-wolf-lotter-der-golem-und-du/
  13. ↑ Vielleicht mit einer Ausnahme: Vermutlich macht erst ein modernes – allerdings staatlich oder direkt per Volksentscheid kontrolliertes – Geldsystem eine solche kooperative Gesellschaft auf globalem Niveau organisierbar. Das Gleiche könnte für das Internet als unabdingbares Mittel der gemeinsamen Willensbildung gelten.

 


Der Autor ist Mitgründer der Initiativgruppe Bedingungsloses Grundeinkommen Rhein-Main.

3 Kommentare

J. Salvador schrieb am 31.12.2016, 23:45 Uhr

Von mir nur 3 Punkte, da der Artikel ein paar Mängel aufweist, wie ich sie in meinem Blog aufgeführt habe.

Der Versuch, das BGE unabhängig von Technologie zu denken, führt dazu es aus seinem geschichtlichen Zusammenhang zu reissen und das ist weder sinnvoll noch nötig.

http://onlineredakteur54.blogspot.de/2016/12/grundeinkommen-automatisierung-und-das.html

SchlenzigWolfgang schrieb am 05.01.2017, 15:40 Uhr

Ich unterstütze den Einwand von J. Salvador.

Erst wenn ein gewisser Stand der Produktivität erreicht ist, wenn die Springquellen fließen, wie Marx es ausdrückte, wenn nicht mehr alle Menschen, einschließlich Kinder eventuell, zum Erreichen eines notwendigen Lebensstandards echt arbeiten müssen. Erst dann sind auch die Mittel für Verteilungen vorhanden, die ein BGE ermöglichen, dass dessen 4 Grundsätze voll umsetzt. Da sind wir jetzt. Und deshalb ist es akut. Auch deshalb, weil, obwohl die Springquellen eigentlich fließen, viele Menschen zu unnötiger kapitalistischer Erwerbsarbeit gezwungen werden.

Klaus Hering schrieb am 04.03.2017, 01:12 Uhr

Die neuen neoliberalen Propagandisten (Straubhaars und die Götz Werners) wollen ja das BGE, weil ihr Kapitalismusmodell durch die Zunahme der Robotik zum Kollaps führt. Wenn die Löhne kollabieren, tut das auch die Nachfrage.

Sie wollen auf keinen Fall die Entscheidung über den Einsatz von Technik den Beschäftigten oder den Konsumenten überlassen. Denn damit wäre auch ihre Herrschaft über Kapital und Gesellschaft vorbei. Andererseits sind ihre Befürchtungen eines ökonomischen Kollaps durchaus reell begründet. Allein das BGE ändert jedoch an diesen Herrschaftsverhältnissen nichts.

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