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Wollte Hugo Grotius die Erträge der Erde unter allen Bürgern gleich verteilen?

Michiel_Jansz_van_Mierevelt_-_Hugo_Grotius (1) [1]Wie in den beiden Beiträgen über Thomas Morus [2] und Juan Luis Vives [3] belegt, wollten beide keineswegs eine Einkommensgarantie oder ein garantiertes Mindesteinkommen einführen. Sie waren Vordenker einer diskriminierenden, stigmatisierenden und repressiven Armutsbekämpfung (hier [2] zum Hintergrund) und nicht Vorläufer des Grundeinkommens, wie Yannick Vanderborght und Philippe Van Parijs behaupten.

Der Niederländer Hugo de Groot (Hugo Grotius, 1583 – 1645) begründete seinen Vorschlag zur Abwendung extremer Not mit dem Naturrecht. In seiner Schrift “Über das Recht des Krieges und des Friedens” (“De jure belli ac pacis”, 1625, vgl. von Kirchmann) beruft er sich im Kapitel “Über das, was allen Menschen zusteht” auf einen Urzustand, in dem alles Natürliche allen gehörte und jede/r der Natur entnehmen durfte, was zum Leben nötig war: “Gott hat dem menschlichen Geschlechte gleich mit der Erschaffung der Welt das Recht auf alle Dinge niederer Art gegeben, und dies geschah noch einmal, als die Welt nach der Sündfluth wieder hergestellt worden war. […] Deshalb konnte im Anfange Jeder nach seinem Bedürfnis nehmen, was er wollte, und verzehren, was er wollte. Eine solche Ausübung des gemeinsamen Rechtes vertrat die Stelle des Eigenthums.” Die “gleichmäßige Verteilung der Erträge der Erde unter allen Bürgern” (Vanderborght/Van Parijs) könnte die Konsequenz eines solchen Naturrechts sein – und damit auch das Grundeinkommen, wie im Beitrag über den Begründer des Grundeinkommens, Thomas Spence [4], gezeigt werden soll. Das heißt aber nicht, dass der “abstrakte Gedanke” einer gleichmäßigen Verteilung der Erträge der Natur unter allen Bürgern “sich bis zum dem holländischen Humanisten Hugo Grotius und seinem Buch Vom Recht des Krieges und des Friedens zurückverfolgen lässt”, wie Yannick Vanderborght und Philippe Van Parijs behaupten. Zu Grotius’ Zeiten gab es bereits das bürgerliche Recht auf Privateigentum. Dennoch postulierte er, unter Rückgriff auf das Naturrecht, für Notsituationen ein Anrecht auf lebensnotwendige Sachen, auch wenn diese sich in Privateigentum befinden oder öffentliches Eigentum sind. “Daraus erfolgt zuerst, dass in der höchsten Noth das alte Recht des Gebrauchs wieder auflebt, als wären die Güter noch gemeinsam; denn in allen menschlichen Gesetzen und folglich auch bei dem Gesetz über das Eigenthum erscheint jener Nothfall ausgenommen.” Daraus folgt für Grotius auch, “dass der keinen Diebstahl begeht, welcher in solcher Noth das zur Erhaltung seines Lebens Nöthige von anderen nimmt.” Allerdings: Dieses Recht gelte nur für Bedürftige in “höchster Not” und nur unter weiteren Bedingungen: a) vorheriger Arbeitseinsatz für den eigenen Lebensunterhalt, b) Erbitten des für das Leben Nötige, c) keine Not des Eigentümers, d) keine Schädigung des Eigentümers, e) Ersatzleistung für das Genommene. Grotius meint, “dass zunächst auf alle Weise es versucht werden muss, ob der Noth nicht auf andere Weise entgangen werden kann, z. B. […] durch einen Versuch, mit Bitten von den Eigenthümern den Gebrauch der Sache zu erlangen. Plato gestattet das Wasserholen aus des Nachbars Brunnen nur, wenn Jemand auf seinem Grunde und Boden bis zum Thonerdelager nach dem Wasser vergeblich gesucht hat […].” Auch könne die Nutzung fremden Eigentums “nicht zugelassen werden, wenn der Besitzer sich in gleicher Noth befindet.” Da die Nutzung fremden Eigentums dem Eigentümer nicht schaden darf, ist sie zum Beispiel für Lebensmittel erlaubt, die der Eigentümer nicht braucht. In diesem Zusammenhang verweist Grotius auch auf die Nutzung öffentlicher Güter, z. B. auf das Wasser im Fluss, das jeder trinken dürfe. Weiterhin “muß, wo es möglich ist, Ersatz geleistet werden.”

Grotius wollte also die Erträge der Natur nicht gleichmäßig unter allen Bürgern verteilen, auch keine davon abgeleitete Grundversorgung oder ein garantiertes Einkommen für alle, sondern eine an viele Bedingungen geknüpfte Möglichkeit ausschließlich für Bedürftige, die sich in äußerster existenzieller Not befanden, das für das Leben Nötige in naturaler Form zu erhalten.

Literatur:

Julius Hermann von Kirchmann, Des Hugo Grotius drei Bücher über das Recht des Krieges und Friedens. Erster Band. Berlin 1869, S. 241 ff.

Yannick Vanderborght/Philippe Van Parijs, Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und zukunft einer radikalen Idee, Frankfurt/Main, New York 2005, S. 21