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Euro-Dividende: ein europäischer Weg zum Grundeinkommen?

Im Jahr 2013 schlug Philippe Van Parijs eine “Euro-Dividende [1]” vor. Seitdem besticht die Idee durch Einfachheit und hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.

Die Euro-Dividende ist eine Geldzahlung, von zum Beispiel 200 Euro, an alle oder einen Teil der EU-Einwohner, wie beispielsweise die Bewohner des Euroraums. Diese Zahlung wäre frei von Gegenleistungen, es bestünde also keine Pflicht zur Arbeit, und sie erfolgte ohne Bedürftigkeitsnachweis. Von einem bedingungslosen Grundeinkommen unterscheidet sich die Euro-Dividende vor allem darin, dass die Höhe ihres Betrags nicht existenzsichernd wäre.

200 Euro lägen wahrscheinlich in keinem der betroffenen Länder oberhalb der Armutsschwelle. Trotzdem gibt es gute Gründe für die Einführung einer solchen Euro-Dividende.

Armut reduzieren

Auch wenn sie, im Gegensatz zu einem Grundeinkommen, Armut nicht abschaffen, sondern nur reduzieren würde, wäre die Euro-Dividende schon ein Vorteil für alle Beteiligten, weil Armut vor allem dort reduziert würde, wo sie am gravierendsten auftritt. Das betrifft die Menschen in Ländern ohne suffizientes Sozialsystem und darüber hinaus auch noch Personen, die nicht alle Transferleistungen in Anspruch nehmen, die ihnen eigentlich zustehen würden, die sogenannte verdeckte Armut. Für diese beiden Gruppen sind es 200 Euro mehr als vorher, teilweise 200 Euro mehr als nichts. Beziehende von Sozialleistungen würden finanziell vermutlich nicht profitieren, da die Euro-Dividende bei anderen Leistungen angerechnet werden würde.

Migrationsdruck mindern – Freizügigkeit erhalten

Ortsunabhängige Leistungen vermindern den Druck, in Regionen mit besseren Arbeitsplätzen zu migrieren, und ermöglichen eher, in der Familie und der Heimat zu bleiben. Das reduziert den Konkurrenzdruck um Arbeit und Wohnraum in wirtschaftlich stärkeren Regionen und mindert die Häufigkeit, mit der sich diese den Herausforderungen kultureller und sprachlicher Integration stellen müssen. Und auch die Kosten der Armutsbekämpfung sind absolut betrachtet geringer, weil die Lebenshaltungskosten in der Herkunftsregion zumeist niedriger sind. Mit weniger Geld kann also mehr Sicherheit erreicht werden. Dieses Argument kommt vom ehemaligen brasilianischen Präsidenten, gilt aber nicht nur für die Favelas in Brasilien, sondern auch für die wirtschaftlich sehr unterschiedlichen Regionen in der EU. Eine klassische Win-win-Situation: Die Bewohner der ärmeren Länder erhalten Geld, Armut wird reduziert und die Bewohner der reicheren Ländern profitieren von einem geringeren Konkurrenzdruck und weniger Migration.

Europäische Identität stärken

Eine Euro-Dividende befördert die europäische Identität. Eine ähnliche Intention hatte Otto von Bismarck am Ende des 19. Jahrhunderts, als er mit einem gesamtdeutschen Sozialsystem eine gemeinsame deutsche Identität unterstützen wollte, nachdem sich der Staat aus vielen kleinen Einheiten zusammengesetzt hatte. Ulrike Guerot und Robert Menasse plädieren schon seit einiger Zeit für die Schaffung einer europäischen Republik [2]. Dafür spricht einiges – angefangen vom Ziel dauerhaften Friedens, über die wirtschaftlichen Vorteile eines europäischen Binnenraums bis hin zur Implementierung einer europäischen Demokratie, welche den Namen auch verdient hätte. Wesentlicher Teil einer europäischen Republik wäre dabei auch ein europäisches Sozialsystem. Denn was verbindet einen Bayern mit einem Bewohner von Rügen? Kultur und Sprache sind es nur zum Teil, wichtig ist auch, dass am Ende des Tages beide Hartz IV bekommen würden. So argumentierte Ulrike Guerot auf der Lüneburger Utopie-Konferenz im August. Und genau diesen Effekt hätte auch eine Euro-Dividende. Es wäre eine Zahlung, die alle Einwohner der Eurozone gemeinsam hätten, ein verbindendes Element.

Wirtschaftliche Stabilität durch Erhalt des Europäischen Binnenmarktes

Die klassische ökonomische Argumentation von Bernhard Neumärker geht in eine ähnliche Richtung. Ein Vertrag zwischen Staaten braucht seiner Betrachtung nach entweder eine starke Nation, die die Einhaltung des Vertrags erzwingt, oder – und das wäre natürlich viel besser – eine Motivation aller Beteiligten, Teil des Vertrags zu bleiben. Den Willen der Bürger, Teil der EU oder auch der Eurozone zu bleiben, würde eine finanzielle Zuwendung deutlich unterstützen. Selbst ein egoistischer Homo oeconomicus, dessen Existenz man in der Reinform durchaus bezweifeln kann, würde Teil der Solidaritätsgemeinschaft bleiben wollen, die ihm eine direkte Geldzahlung gewährt. Und damit erklärt sich dann auch das Wort der „Dividende“. Die Euro-Dividende wäre keine Sozialleistung im eigentlichen Sinne, sondern eben ein gleicher Anteil für alle. Durch den Wirtschaftsraum der Eurozone wird Profit erzeugt, der zum Teil in Form einer Dividende an die Teilnehmer des Wirtschaftsraums wieder ausgezahlt wird. Die Einwohner werden damit zu „Stakeholdern“ der Europäischen Union und bekämen als Anteilseigner eine Dividende ausgeschüttet. Die Hauptprofiteure der gemeinsamen Handelszone wären auch die Hauptfinanzierer der Dividende. Sie hätten selbstverständlich auch die größte Motivation zum Erhalt der EU, oder andersherum gesagt, diese Unternehmen würden bei einem Ende der EU oder der Eurozone den größten Schaden nehmen.

Stabilität des Euro

Die Forschung zur Stabilität von überregionalen Währungen bringt noch einen weiteren Aspekt in die Debatte. Eine Währung, die über die Grenzen einer Regionalwirtschaft hinausgeht, braucht innere Ausgleichsmechanismen, um stabil zu bleiben, da wirtschaftlich schlechter gestellte Regionen sich nicht über eine Abwertung ihrer Währung stabilisieren können. Dieses Problem konnte man eindrucksvoll in der Folgezeit der Finanzkrise beobachten, zum Beispiel in Griechenland. Innerhalb eines Landes gibt es das sowieso, sei es als Länderfinanzausgleich, in Form von Subventionen für strukturschwache Regionen oder eben durch gemeinsame Sozialsysteme. Auf europäischer Ebene sind diese Ausgleichsstrukturen noch unterentwickelt, wie man an den Euro-Rettungsschirmen sehen kann. Innerhalb der USA findet dieser Ausgleich zum einen über inländische Migration statt und zum anderen durch Ausgleiche in der Erhebung von Steuern und Abgaben. Doch dieses Prinzip funktioniert in einem Einwanderungsland mit gemeinsamer Sprache deutlich besser als es im kulturell und sprachlich diversen Europa möglich und wünschenswert wäre.

Solidarität innerhalb Europas

Ein finanzieller Ausgleich zwischen den Nationen der Eurozone als solchen, und nicht zwischen unterschiedlich starken Wirtschaftsräumen, würde nicht nur die Solidarität der Bevölkerung stark herausfordern, sondern auch am Kern des Problems vorbeigehen. Denn die Ländergrenzen sind dafür gar nicht der richtige Bezugsrahmen.

Schaut man sich die Daten für Wirtschaftsleistungen und Lebensstandard  differenzierter an, fällt auf,  dass eine Ähnlichkeit zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Süditalien und Polen besteht. Aber auch zwischen Norditalien, dem Rhein-Main-Gebiet und Paris. Ein Ausgleich muss also nicht national erfolgen, sondern zwischen den Regionen, um wirklich wirksam zu werden.

Ein Anfang von Bedingungslosigkeit

Wenngleich eine Euro-Dividende zwar insofern bedingungslos wäre, als ihre Auszahlung weder an Arbeitspflicht noch an Bedürftigkeitsprüfung gebunden ist, bleibt sie aufgrund ihrer geringen Höhe noch deutlich hinter der Idee eines Grundeinkommens zurück. In den meisten Ländern wären bedarfsgeprüfte und mit weiteren Bedingungen belegte weitere Sozialleistungen erforderlich, um Existenz zu sichern und Teilhabe zu ermöglichen. Die nationalen Sozialsysteme würde durch die Euro-Dividende nicht verändert werden. In Deutschland würde die Dividende bei Transferleistungsbeziehenden als Einkommen angerechnet werden. Vorteilhaft wäre es dennoch für die sogenannten „Aufstocker“, die damit eventuell aus dem Leistungsbezug kommen könnten. Ebenso für Personen, die aktuell gar keine Sozialleistungen beantragen, obwohl sie anspruchsberechtigt sind. Und auch für alle anderen besteht ein psychologischer Vorteil, wenn es eine unsanktionierbare Basis gibt, die in jedem Fall Bestand hat.

Mittel gegen Neoliberalismus

Die Vision, die der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich von Hayek am Ende des zweiten Weltkriegs von Europa hatte, war freilich eine andere. Ihm schwebte eine Idealform des Neoliberalismus vor, mit Wirtschaftsunion und gemeinsamer Währung, deutlich reduzierter politischer Einflussmöglichkeit und der Vermeidung institutionalisierter Solidarität zwischen den Bürgern. Um diese Vision zu verwirklichen, gründete er die Mount Pelerin Society, mit durchschlagendem Erfolg aus heutiger Perspektive. Eine Euro-Dividende wäre als Anti-Hayek die passende Antwort auf den aktuellen Neoliberalismus der EU.

Ein Schritt in Richtung Grundeinkommen

Die Finanzierung einer solchen Euro-Dividende könnte auf verschiedenen Wegen erfolgen. Die Vorschläge gehen von verschiedenen Umsatzsteuern, Unternehmenssteuern bis hin zu Ökosteuern, je nachdem welche Nebenziele damit verfolgt werden. Allen gemein ist, dass Teile der Gewinne, die innerhalb der EU durch die Wirtschaftsgemeinschaft entstehen, als Dividende an die Bürger verteilt werden. Wie das konkret aussehen würde, ist nicht trivial zu berechnen, denn schon die Bezugsberechtigten unterscheiden sich erheblich, je nachdem, ob man alle EU-Bewohner, EU-Bürger, Eurozonen-Bewohner oder Eurozonen-Bürger betrachtet. Eine Untersuchung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags [3] vom August 2017 geht darauf näher ein.

Erschaffung eines europäischen Sozialsystems

Last but not least würde mit der Euro-Dividende ein System geschaffen, bei dem die EU ihren Bürgern individuell Geld zukommen ließe. Und auch ein europäisches Steuersystem würde implementiert. Beides kann als Grundlage dienen, um irgendwann ein echtes Grundeinkommen einzuführen.

 

Bild: https://pixnio.com/de/flaggen-welt/europa-union-flagge-wind-patriotismus-patriot-emblem-blauer-himmel#

3 Comments (Open | Close)

3 Comments To "Euro-Dividende: ein europäischer Weg zum Grundeinkommen?"

#1 Comment By Katrin Schrader On 01.11.18 @ 15:06

Wenn es bei Hartz-IV Empfängern wieder abgezogen wird, ist es nicht bedingungslos und damit Augenwischerei.
[Anm. d. Red.: “Bedingungslos” bezieht sich beim BGE nur auf die beiden Bedingungen “Bedürftigkeit” und “Arbeitsbereitschaft/Gegenleistung”]

#2 Comment By Carola Specht On 02.11.18 @ 13:19

Wenn es bei Hartz IV und Grundsicherung angerechnet wird, verringert es nicht die Armut von immerhin gut 5 Millionen Menschen allein in Deutschland. Tendenz steigend. Sondern stellt einfach nur alle anderen besser. Sollte es über Verbrauchssteuern refinanziert werden, ist diese Bevölkerungsgruppe doppelt gekniffen, denn die Unternehmen werden es einpreisen.

Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was das bringen soll. Bedingungslos hieße: keine Anrechnung als Einkommen, solange die staatlich grundlegende Existenzsicherung nicht einmal ansatzweise die Realität trifft. Merksatz: Das Grundeinkommen ist unantastbar. Was im Übrigen für die steuerliche Behandlung ebenso gelten sollte. Auch das Argument, es würde Aufstocker besser stellen, zieht nicht. Die bekämen es im selben Umfang abgezogen.

Der Grundgedanke des BGE ist die Entkopplung von Arbeit/Leistung und Einkommen. Die Gesetzgebung sowie Abzugspraxis der deutschen Behörden wäre dem völlig entgegengesetzt: wer nicht arbeitet bzw. nicht arbeiten kann, soll auch nicht mehr haben. Auf diese Zementierung des völlig überholten Zeitgeistes liefe es hinaus. Das kulturrevolutionäre Prinzip eines BGE kann in Zeiten von dies verwässernden Vorschlägen – wie z.B. von Seiten der SPD – gar nicht genug herausgestellt werden. Ein BGE wäre schon längst machbar, nur der politische Wille fehlt, weil das Denken in den Köpfen tradierten Vorstellungen anhängt.

Was spricht gegen den Vorschlag von Precht, die Börsenumsätze zu besteuern, um sämtliche Sozialleistungen durch ein realistisches Grundeinkommen zu ersetzen. 1% von 240 Billionen allein in Deutschland wären doch bereits völlig ausreichend. Dazu kämen dann noch die Einsparungen eines unnütz aufgeblähten Verwaltungsapparates.

#3 Comment By Werner Wagner On 05.11.18 @ 16:37

Ich finde den Ansatz gut. Ich würde noch einen Schritt weitergehen wollen: eine stufenweise Einführung des BGE über Umwandlung von Transferleistungen in BGE.
So könnten zum Beispiel 200 Euro BGE aus der EU kommen und 250 EUR aus Deutschland. In der Tasche des Bürgers ändert sich bei den meisten nichts. Gutverdienende erhalten BGE, der Steuerfreibetrag könnte aber um 450*12 Euro reduziert werden. Ein Hartz-4-Empfänger bekommt ca. das gleiche, aber bedingungslos. Ein Aufstocker muss nicht weiter für Unterstützung betteln. Ein Studierender erhält BGE und ein reduziertes BAföG (dadurch erhalten alle, die studieren wollen, eine Förderung). Alle Selbständigen erhalten eine Mindestsicherung. Das ist wichtig, insbesondere für die, die gerade starten oder nicht ausreichend verdienen um die Familie durchzubringen. Bei Selbständigen, die gut verdienen, reduziert sich der Steuerfreibetrag (wie bei Angestellten). Bei den Rentnern kann das Modell auch funktionieren. So bekämen die Rentner 450 Euro BGE und 450 Euro weniger Rente (das was so oder so steuerlich finanziert wird). Kinder erhalten BGE (über die Höhe müsste noch debattiert werden) und das Kindergeld entfällt. Das alles ginge bei einfacher Umwandlung.
Es ist mir bewusst, dass das nicht das Ziel eines BGE ist, da dieser Betrag nicht zum Leben und zur Teilhabe an der Gesellschaft reicht. Der Vorteil ist aber, dass so ein Modell in der Politik und Gesellschaft leichter Akzeptanz haben könnte, da es bekannte Transferzahlungen „einfach nur umwandelt“ und keine „Risiken“ hat. Eventuelle Mehrkosten halten sich auch in Grenzen (Menschen, die ein Einkommen unter dem Steuerfreibetrag haben und zurzeit keine Transferleistungen erhalten. Die haben es auch nötig).
Ein weiterer Vorteil wäre, dass das BGE somit eigeführt wäre. Eine stufenweise Erhöhung kann dann Jahr für Jahr (z. B. 200 EURO/Jahr), bis zu dem Einkommen, das alle Bedingungen des BGE erfüllt ( zB. 1,500 EUR), durchgeführt werden. Diese stufenweise Erhöhung kann dem Skeptiker oder sogar Gegner des BGE helfen zu erkennen, dass das BGE keine wirklichen Gefahren mit sich bringt (z. B. „keiner wird mehr arbeiten“ usw.). Und falls es, bei einer stufenweisen Erhöhung, zu Problemen kommen sollte, werden sich diese in Grenzen halten, und so wäre es auch möglich, im Notfall gegenzusteuern.
Dieses Modell braucht nicht die EU. Man könnte es auch ohne einen Vorstoß der EU in Deutschland voll umsetzen.