Wie hoch muss ein Grundeinkommen sein? Oder: Das Regelsatzdesaster

Ronald Blaschke 27.01.2017 Druckversion

money-1005476_1920Der Streit um die Höhe des Regelsatzes bei den Grund­siche­rungen verdeckt, dass dessen Berechnungsmethode grundsätzlich fragwürdig ist. Deswegen werden alternative Möglichkeiten, das Existenz- und Teilhabeminimum in Deutschland zu bestimmen, aufgezählt und Höhen benannt: Armutsrisikogrenze, Warenkorb, Pfändungsfreigrenze und BAföG-Rückzahlungsbefreiung. Sie bewegen sich um 1.100 Euro netto.

1. Die Regelsatzableitung von Konsumausgaben einer willkürlich festgelegten Referenzgruppen (Statistikmethode) – Ein Desaster

Zur Ermittlung des Regelsatzes für Alleinstehende, der Bestandteil des soziokulturellen Existenzminimums[1] ist, werden bisher die mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelten Konsumausgaben von alleinstehenden Personen mittels einer willkürlich festgelegten Referenzgruppe herangezogen. Dabei entscheidend ist jedoch die Frage: In welcher sozialen Situation befinden sich die Personen in der Referenzgruppe?

Die Referenzgruppe, die die Bundesregierung zur Bestimmung des Regelsatzes für das Jahr 2017 nutzte, bildet die unteren 15 Prozent in der Einkommenshierarchie gemäß der EVS 2013 ab. Diese Personen sind einkommensarm, materiell bzw. sogar erheblich materiell unterversorgt (Stichwort materielle Deprivation). Sie sind und bleiben materiell abgehängt: Sie haben nur rund 40 Prozent des durchschnittlichen Einkommens der Einpersonenhaushalte.[2] Darüber hinaus: Zwischen 2008 und 2013 wuchs die Lücke zwischen dem Einkommen der Personen in der Referenzgruppe und der Armutsrisikogrenze (Armutslücke) bei gleichzeitigem Sinken ihrer Kaufkraft.[3]

Auch lobenswerte Versuche, eine andere Referenzgruppe mit weniger armen und materiell abgehängten Personen zur Ableitung der Regelsätze heranzuziehen, erhöhen zwar das soziokulturelle Existenzminimum, können sich dieser Kritik dennoch nicht entziehen. Das höchste bekannte Existenzminimum für das Jahr 2017, das mit der EVS-Statistikmethode ermittelt wurde, beträgt 633 Euro plus durchschnittlich 342 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung, also in Summe 975 Euro, [4] Dieses „Existenzminimum“ liegt weit unterhalb der Armutsrisikogrenze der EVS, nämlich 200 Euro. Kein Wunder: Denn auch hier haben die Personen der Referenzgruppe ein Einkommen, welches im Durchschnitt 100 Euro unter der EVS-Armutsrisikogrenze liegt.

Fazit: Die Ermittlung des soziokulturellen Existenzminimums mit der Statistikmethode ist ein sozialpolitisches Desaster. Dieses „Existenzminimum“ sagt nichts über eine nötige Bedarfsdeckung aus. Die Ermittlungsmethode erfasst lediglich die Ausgaben willkürlich festgelegter Referenzgruppen.[5] Der daraus regierungsamtlich ermittelte Regelsatz (409 Euro netto monatlich) ergibt sich faktisch aus Ableitungen von Ausgaben der Armen, materiell Unterversorgten und Abgehängten. Das trifft auch für alternativ festgelegte Referenzgruppen zu. Somit können nur Bestimmungen eines soziokulturellen Existenzminimums die Folge sein, die Armut und Ausgrenzung bedeuten. Regierungsamtlich sind das 751 Euro (409 Euro plus durchschnittliche Kosten der Unterkunft und Heizung von 342 Euro). Die Statistikmethode ist aus diesen Gründen nicht geeignet für die Ermittlung der Höhe von Transfers, die die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe oder vor Armut sichern sollen.[6] Sie wäre es nur, wenn ausgeschlossen wäre, dass die Personen in der Referenzgruppe nicht einkommensarm, nicht oder nur in sehr geringem Maße materiell unterversorgt und nicht von der Einkommensmitte materiell abgehängt sind. Mit diesen Vorgaben kann aber auch gleich auf die Bestimmungsmöglichkeit eines Existenz- und Teilhabeminimums mit der Statistikmethode verzichtet werden. Denn im Ergebnis wäre dies identisch mit den Ermittlungen folgender alternativer Bestimmungsmöglichkeiten des Existenz- und Teilhabeminimums.

2. Alternative Bestimmungen des Existenz- und Teilhabeminimums

In der Tabelle werden alternative Bestimmungsmöglichkeiten des Existenz- und Teilhabeminimums auf einen Blick dargestellt. Deutlich wird, dass –  trotz unterschiedlicher Begründungen dieser Höhen – die Angaben nicht sehr stark differieren. Sie bewegen sich in einem Korridor zwischen 1.076 Euro und 1.145 Euro netto monatlich (zum Vergleich: Das regierungsamtliche soziokulturelle Nettoexistenzminimum beträgt 751 Euro. Die folgende Übersicht aktualisiert die Angaben im Beitrag „Bedingungslosigkeit und die Höhe des Grundeinkommens“.

Euro, netto, monat­lich, Allein­stehende Armuts­risiko­grenzen (Durch­schnitt) Waren­korb Pfändungs­frei­grenze Rück­zahlungs­befreiung BAföG
Hartz IV 2017
751 1.127 (2016)
1.143 (2017)
1.076 (2015) 1.079,99 (2015, ab Juli 2017 1.139,99) 1.145 (2016)

Es folgt eine detaillierte Übersicht über die Bestimmungsmöglichkeiten des Existenz- und Teilhabeminimums.

Armutsrisikogrenze und Entschließungen des Europäischen Parlaments

Armutsrisikogrenzen zeigen den Stand der relativen Armut an: Wer Einkommen darunter hat, dessen Möglichkeiten der Existenzsicherung und der gesellschaftlichen Teilhabe liegen weit unter dem gesellschaftlichen Standard in seinem Land. Das bedeutet soziale, kulturelle und politische Ausgrenzung.

Das Europäische Parlament hat in Entschließungen darauf verwiesen, dass Mindesteinkommen (also Grund-/Mindestsicherungen bzw. Grundeinkommen) mindestens die Höhe der Armutsrisikogrenze haben sollen (siehe die zugrundeliegenden Berichte von Abgeordneten der GUE/NGL, Gabriele Zimmer im Jahr 2008 und Ilda Figueiredo im Jahr 2010).

Die aktuell bekannten Armutsrisikogrenzen für Deutschland nach dem EU-Standard (Nominalwerte, netto, in Euro) sind

EVS (Einkommens- und Verbrauchsstichprobe) 2013: 1.189 Euro

Zeitreihe (Statistisches Bundesamt, wird alle fünf Jahre erhoben, vgl. Fünfter Armuts- und Reichtumsbericht)

1.017 (2003), 1.052 (2008), 1.189 (2013)

SOEP (sozioökonomisches Panel, v32) 2014: 1.056 Euro

Zeitreihe (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Auskunft per E-Mail vom 26.01.2017)

830 (2000), 831 (2001), 860 (2002), 863 (2003), 871 (2004), 879 (2005),
893 (2006), 929 (2007), 944 (2008), 983 (2009), 991 (2010), 999 (2011),
1.020 (2012), 1.029 (2013), 1.056 (2014)

EU-SILC (European Union Statistics on Income and Living Conditions[7]) 2015: 1.033 Euro

Zeitreihe (Eurostat, Statistisches Bundesamt)

783 (2006), 889 (2007), 916 (2008), 929 (2009), 940 (2010), 952 (2011),
980 (2012), 979 (2013), 987 (2014), 1.033 (2015)

Diese Armutsrisikogrenzen ergeben für 2016 im Durchschnitt 1.127 Euro, für 2017 im Durchschnitt 1.143 Euro (errechnet aus den durchschnittlichen jährlichen Steigerungsraten EVS – 18 Euro , SOEP – 16 Euro, EU-SILC – 16, ohne den Ausrutscher EU-SILC 2006). [8]

Warenkorb

Man könnte einwenden, dass die Armutsrisikogrenze nicht geeignet wäre, tatsächlich die nötige Bedarfsdeckung zur Sicherung der Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe abzubilden. Denn es handelt sich um eine Bestimmung von Einkommenshöhen, die in Bezug zu anderen Einkommen im jeweiligen Land gesetzt werden (in der Fachsprache: 60 Prozent des mediangemittelten Nettoäquivalenzeinkommen). Der Warenkorb gilt daher als alternative bzw. die Bedarfsdeckung prüfende Bestimmung eines an der Armutsrisikogrenze orientierten Existenz- und Teilhabeminimums (siehe auch o. g. Entschließungen des Europäischen Parlaments). In den Warenkorb werden Waren hineingelegt und mit einem Preis versehen, die als notwendig für die Sicherung der Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe erachtet werden. Nach der Warenkorb-Studie von Lutz Hausstein für das 2015 beträgt das Existenz- und Teilhabeminimums 1.076 Euro (734 Euro plus durchschnittliche Kosten der Unterkunft und Heizung von 342 Euro).

Damit sind alle Ableitungen des Existenz- und Teilhabeminimums von den o. g. durchschnittlichen Armutsrisikogrenzen als umfänglich bedarfsdeckend anzusehen. Festgehalten werden kann auch: Die Armutsrisikogrenze des Mikrozensus (siehe Fußnote 8) ist grundsätzlich ungeeignet, ein Existenz- und Teilhabeminimum anzuzeigen, was grundlegende Bedarfe deckt.

Pfändungsfreigrenze

Die Pfändungsfreigrenze, die auch als pfändungsgeschützte Höhe bei einem P-Konto gilt, beträgt seit 2015 mindestens (für Personen ohne Unterhaltsverpflichtungen) 1.079,99 Euro. Sie steigt im Juli 2017 auf 1.139,99 Euro.* Sie wird von der Bundesregierung festgelegt.

Rückzahlungsfreistellung BAföG

Unter einem bestimmten Einkommensniveau ist man von der Rückzahlungspflicht des BAföGs freigestellt. Dieses Niveau wird ebenfalls von der Bundesregierung festgelegt. Seit diesem Jahr beträgt es mindestens 1.145 Euro.

3. Fazit

Das Minimum, was ein Mensch, der derzeit in Deutschland lebt, monatlich zur Sicherung seiner Existenz und gesellschaftlichen Teilhabe braucht, beträgt mindestens 1.076 Euro netto. Entsprechend der Pfändungsfreigrenze ist es eher mit rund 1.150 Euro netto zu beziffern. Mit diesem Minimum ist natürlich die derzeitige Situation hinsichtlich der mit Geld zu finanzierenden Güter und Dienstleistungen abgebildet. Im Falle der Einführung bzw. des Ausbaus von kosten- bzw. gebührenfreien Zugängen zu diesen Gütern und Dienstleistungen[9], ist ein geringerer Geldbetrag zur Deckung des Existenz und Teilhabeminimums nötig.

Endnoten:

[1] Das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum ergibt sich aus Regelsatz plus durchschnittliche Kosten der Unterkunft und Heizung. Es handelt sich um einen Nettobetrag, also ohne Sozialversicherungsbeiträge.

[2] Vgl. das Hintergrundpapier von Katja Kipping und Irene Becker 2016. Das gilt auch bezogen auf einen Zeitverlauf: Das durchschnittliche Einkommen der Referenzgruppe lag im Jahr 2013 laut einer Auswertung der Parität (E-Mail vom 21.10.2016) bei 767 Euro. Demgegenüber lag der Durchschnitt der gleichen Referenzgruppe im Jahr 2008 bei 716 Euro – eine durchschnittliche Einkommenssteigerung also von 51 Euro in 5 Jahren (die EVS wird aller 5 Jahre erhoben). Die durchschnittlichen Einkommen aller Einpersonenhaushalte stiegen im gleichen Zeitraum aber um 130 Euro (von 1.726 Euro im Jahr 2008 auf 1.856 Euro im Jahr 2013), also um das 2,5fache. Prozentual hatte die Einpersonenhaushalte-Referenzgruppe 2008 41,5 Prozent und im Jahr 2013 41,3 Prozent des durchschnittlichen Einkommens aller Einpersonenhaushalte zur Verfügung.

[3] Die Armutslücke (bezogen auf die jeweiligen Werte der EVS) zwischen durchschnittlichem Einkommen der 15-Prozent-Referenzgruppe der Einpersonenhaushalte (2008: 716 Euro; 2013: 767 Euro, Angaben der Parität) und der Armutsrisikogrenze für Alleinstehende (2008: 1.052 Euro, 2013: 1.189 Euro) stieg von 2008 zu 2013 um rund 100 Euro. Die Kaufkraft der Referenzgruppe ist gesunken: Die Paritätische Wohlfahrtsverband hat September 2016 dazu in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf zu den Regelbedarfen festgestellt: „Hinzu kommt als sehr grundsätzliches Manko, dass die zur Referenzgruppe gemachten Ein-Personen-Haushalte wie auch die Referenzgruppe der Paarhaushalte mit einem Kind im Jahr 2013 offensichtlich weniger Kaufkraft zur Verfügung hatten als in der Erhebung 2008. Betrug das durchschnittliche Einkommen der Ein-Personen-Referenzhaushalte in 2008 716 Euro, 2013 waren es 767 Euro, was preisbereinigt einer vergleichbaren Kaufkraft von nur noch 715 Euro entspricht. Bei den genannten Paarhaushalten mit Kind betrug das Durchschnittseinkommen in der Referenzgruppe 1.976 Euro (2008) und 2.062 Euro (2013), was preisbereinigt einer vergleichbaren Kaufkraft von 1.923 Euro entspricht. Mit anderen Worten, die zur Berechnung des Existenzminimums herangezogene Referenzgruppe ist in diesen fünf Jahren ärmer geworden. Dies wirft die sehr grundsätzliche Frage auf, ob die Anwendung des Statistikmodells zur Herleitung des Existenzminimums überhaupt noch geeignet und tragfähig ist.“

[4] Vgl. die Studie von Irene Becker für die Diakonie – dort die Alternative 1 (Seite 24) plus die Erklärung zum Existenzminimum auf S. 25.

[5] Davon werden übrigens dann auch noch Abschläge von ca. 25 Prozent bei der Ermittlung der Höhe der Regelsätze vorgenommen. Diese nicht berücksichtigten Konsumausgaben wären nicht regelbedarfsrelevant, so die Koalition aus CDU/CSU und SPD im Regelbedarfsermittlungsgesetz.

[6] Zur Regelsatzbestimmung gemäß der EVS-Statistikmethode plus tatsächliche Kosten der Unterkunft und Heizung (durchschnittlich 342 Euro, BT-Drs. 18/10337) und zum Vergleich mit der EVS-Armutsrisikogrenze siehe das Hintergrundpapier „Nach Gutdünken kleingerechnet“ von Katja Kipping.

[7] Bemerkung zur EU-SILC: Die EU-SILC-Armutsrisikogrenze ist nicht gemäß EU-Standard erhoben – es werden wie beim Mikrozensus (siehe unten) keine Einkommensäquivalente durch selbstgenutztes Wohneigentum berücksichtigt. Hintergründe sind z. B. Schwierigkeiten in einigen EU-Ländern, vergleichbare Werte für selbstgenutztes Wohneigentum zu erfassen. Die Armutsrisikogrenze ist daher mit der EU-SILC ebenfalls zu niedrig bestimmt, aber nicht so extrem wie durch den Mikrozensus. Daher wird die EU-SILC-Armutsrisikogrenze hier berücksichtigt.

[8] Hinweis zum Mikrozensus (Statistisches Bundesamt):

Diese Armutsrisikogrenze betrug 2015 942 Euro (Statistisches Bundesamt)

Datenreihe

736 (2005), 746 (2006), 764 (2007), 787 (2008), 801 (2009), 826 (2010), 849 (2011), 870 (2012),
892 (2013), 917 (2014), 942 (2015)

Der Mikrozensus (MZ) ist zur Erhebung der Armutsrisikogrenze ungeeignet, ergibt viel zu niedrige Werte. Deswegen wird er hier nicht berücksichtigt. Die Kritik von Markus Grabka u. a. vom DIW Berlin am Mikrozensus: „Der Mikrozensus erfragt – in Form von Einkommensklassen – monatliche Nettoeinkommen, in denen typischerweise unregelmäßige Einkommen wie Kapitaleinkünfte, Weihnachtsgeld oder Boni untererfasst sind, und zudem unterjährige Schwankungen von Einkommensströmen, z. B. aufgrund saisonaler Arbeitslosigkeit, nicht adäquat berücksichtigt werden können. Zudem wird der Mietwert selbstgenutzten Wohneigentums beim Mikrozensus nicht einbezogen. Diese fiktive, aber hoch relevante Einkommenskomponente macht, gemessen am verfügbaren Einkommen, im Durchschnitt rund fünf Prozent aus.“ (Markus M. Grabka, Jan Goebel und Jürgen Schupp, Höhepunkt der Einkommensungleichheit in Deutschland überschritten?, DIW Wochenbericht 43/2012, S. 13)

[9] Zum Beispiel die gebührenfreie Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs, des öffentlichen Bildungssystems und der Kindertagesstätten, der Rechts- und Sozialberatung, des Internets, der Kulturangebote, Bibliotheken, Sporteinrichtungen.

Bildnachweis: pixabay

* Ergänzt am 07.05. 2017.

8 Kommentare

Sebastian Meyer schrieb am 29.01.2017, 20:39 Uhr

Es ist schon in Ordnung einmal zu beleuchten, in welcher Größenordnung ein bGE anzusiedeln wäre.

Aber viel entscheidender als dieses Detail ist doch die Akzeptanz, dass mit der Einführung eines bGE die bisher so schwer zu denkende (individuelle) Entkoppelung von Arbeitsleistung und Einkommen eine gesellschaftliche Herausforderung im edelsten und schönsten Sinne darstellen wird.

Gesellschaftlich betrachtet tritt keine Entkoppelung von Leistung und Einkommen ein, wenn man einmal in den Begriffen von Gesellschaftsleistung und ihrer Spiegelung in der jeweiligen individuellen Teilhabe-Ermöglichung denken wollte ...

Dies wollte ich noch beitragen: - wenn wir unserem (faulen) Nachbarn seine Menschenwürde nicht gönnen wollen, dann werden wir das mit der Einführung eines bGE nicht hinbekommen, weil wir in allen analogen und virtuellen Sozialebenen zuerst uns selbst mit der uns überholenden Realität vertraut zu machen haben, dass in Wirklichkeit längst das individuelle Einkommen von der individuellen (Arbeits-)Leistung entkoppelt ist.

Rainer Ammermann schrieb am 01.02.2017, 14:50 Uhr

Danke Ronald! Es ist eine Super-Zusammenstellung, die als Referenz bei Diskussionen wirklich hilfreich ist.

Dennoch denke ich, dass wir auch mit solchen Einstiegsszenarien in ein BGE konstruktiv umgehen sollten, die (noch) nicht den gesamten so ermittelten Betrag bedingungslos auszahlen, sondern Teile zunächst weiter an Bedingungen knüpfen. Die gesamte Höhe, der bedingungslosen plus der bedingten Transfers, muss dann mind. einer der o.g. plausiblen Methoden gerecht werden.

Juergen Rettel schrieb am 01.02.2017, 15:28 Uhr

Jörg Reiners : „Wer den zweiten vor dem ersten Schritt macht,wird stolpern!

Also, bevor wir uns über die Finanzierungsdetails unterhalten,

sollten wir uns über die zu finanzierende Höhe, also den Grundeinkommensbetrag, den Kopf zerbrechen.“

Das ist der Grund, warum ein bGE eben nicht kommt. Man vergaloppiert sich in Diskussionen bottom up über bGE-Höhe und Finanzierungsansätze, anstatt einfach top down zu fragen, wie hoch kann ein bGE bedingunglos, also KEINE höhere Steuerlast bzw. geringerer Erwerbsanreiz = 1 - Steuerlast, überhaupt sein ?

Das Ulmer Modell ist ein top down Ansatz, ausgehend von den 4 Kriterien eines bGE :

(1) Alle bekommen bGE, d.h. Einwohner * bGE = Steuersatz * Volkseinkommen. (OHNE Bedarfsprüfung)

(2) Gleiche Steuerlast durch Gegenfinanzierung :

Steuersatz * Volkseinkommen = (Einkommensteuern + AG-Sozialabgaben) / Steuersatz (OHNE sonstige Gegenleistungen),

in D Steuersatz bei 0,5 !

Dann hat man 1170 € bGE bzw.

- 750 € bisherige Grundsicherung (Regelsatz + Kosten der Unterkunft),

- 130 € ZUSÄTZLICHE GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE und

- 290 € KV/PV-Kopfpauschale

Wem das zu wenig ist, kann ja weiter labern statt handeln.

Das Geld wird aber so nicht mehr!

Eine top down Analyse geht vom Ziel aus.

Durch Besteuerung ab dem ersten Cent in (1) leiht man zu den Grundsicherungen die Grundfreibeträge nur mit aus.

Da man das bGE aber zurück geben muss, ehe der Konsum greift, benötigt man ein Mehrsteuersystem. Denn auch das bGE zahlt ja Konsumsteuern.

Der Freibetrag wird automatisch aus dem bGE erzeugt durch Freibetrag = bGE / Steuersatz. Ist er kleiner als Prokopfeinkommen, so nimmt der Staat zusätzlich Steuern ein, ist er größer, dann muss der Staat ein Defizit aus anderen Steuern ausgleichen !

Ronald Blaschke schrieb am 04.02.2017, 11:12 Uhr

Das ermittelte Existenz- und Teilhabeminimum um die 1.100 Euro ist wie - im Text vermerkt - ein Nettobetrag, also ohne irgendwelche Abgaben, Beiträge, Kosten für Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung usw. oder Kopfpauschalen. Partielle Grundeinkommen (also Geldleistungen, die nicht die Existenz sichern und Teilhabe ermöglichen), erzielen, ob nun durch bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen aufgestockt oder nicht, nicht die Effekte, die einem Grundeinkommen zugeschrieben werden.

Ralf Mattis schrieb am 05.02.2017, 08:21 Uhr

Wie auch immer, eins steht jedenfalls fest...HARZ IV muss weg, denn:

Wenn ein HARZ IV-Empfänger z.B. die vollen 450,-€ eines Minijobs behalten dürfte, dann wären wir genau da, wo auch das BGE hingehen soll.

Ich z.B. bin auch Harz IV-Empfänger und habe ein Minijob auf selbstständiger Basis, aber; alles was mir davon bleibt ist die Pauschale von 100,-€, alles andere wird mir weggenommen und Steuern muss ich auch noch zahlen...was für eine soziale Gerechtigkeit!

Gerhard Seedorff schrieb am 25.02.2017, 17:42 Uhr

Mein Vorschlag zu diesem Thema wäre, den Gesetzgeber aufzufordern ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen, das die Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft nicht überfordert.

Und der Autor des Buches \"Die Vorsorgelüge\", Holger Bardolis, hat geantwortet: \"Natürlich ist der Ansatz des bedingungslosen Grundeinkommens geeignet, viele Probleme zu lösen, auch das der Altersarmut, wenn das Grundeinkommen ausreichend bemessen ist.\"

Matthias schrieb am 27.05.2017, 18:22 Uhr

So ganz habe ich das noch nicht verstanden. Ein Grundeinkommen lässt sich ja so einfach nicht pauschal berechnen.

Zum einen gibt es Schwankungen bei den Lebenshaltungskosten, zum anderen sehe ich ein erhebliches Problem wegen der Wohnkosten (Miete, Nebenkosten, Strom, Möbelabzahlung, Renovierungskosten).

Glücklich, wer in alten Mietverträgen sitzt. Wer neu anmieten muss, der berappt sogar in der Provinz, wo die Verknappung von Wohnraum nun auch angekommen ist, einen Großteil des Grundeinkommens fürs Wohnen.

Teilhabe geht dann für die, die glücklich günstiger wohnen, die anderen landen dann aber auch wieder im sozialen Abseits.

Im Grunde hat man Harz IV dann nur ersetzt, das Konzept, \"da musst du halt sehen, dass du klar kommst\", dürfte aber bleiben.

Ungleichheiten lassen sich nicht vermeiden, das ist klar. Aber dennoch erscheint mir aus den genannten Gründen für die nächsten Jahre die genannte Summe zur Erfüllung der vorgegebenen Ziele hinsichtlich Versorgung und v.a. Teilhabe als nicht realistisch.

Stephan Härtl schrieb am 12.03.2018, 16:27 Uhr

Seit der Gründung des NW wird von \"dem\" BGE gesprochen. Um die Höhe der soziokulturellen Teilhabe zu ergründen, wurden Regelsätze und die verschiedensten statistischen Kenngrößen herangezogen. Dabei sind doch die Lebenshaltungskosten höchst unterschiedlich:

Säugling, Jugendlicher, Erwachsene zu Beginn ihres Lebensweges, hochbetagte Rentner,

lebe ich zur Miete in einer Großstadt oder in einem längst abgezahlten Häuschen in der Provinz.

Alleinstehende, Alleinerziehende, 2 Partner, Familien mit ein oder mehreren Kindern.

Wie wollen wir für all die verschiedenen

Lebenssituationen eine soziokulturelle Teilhabe ermitteln?

Einen Kommentar schreiben

Erforderliche Felder sind mit * markiert.
Bitte beachten Sie die Regeln für die Veröffentlichung von Kommentaren.