Schleswig-Holsteins Regierung erteilt BGE-Versuch in Flensburg eine Absage
Im Januar 2018 berichtete das Netzwerk Grundeinkommen über einen Beschluss des Flensburger Stadtrates über einen Feldversuch zur Erprobung eines Grundeinkommens. Darin steht: „Die Verwaltung wird beauftragt, sich nachdrücklich für die Durchführung eines Feldversuchs zur Erprobung eines ‚Bedingungslosen Grundeinkommens‘ (BGE) in Flensburg bei der Landesregierung sowie in Abstimmung mit dieser auch gegenüber dem Bund einzusetzen.“
Zu diesem Feldversuch wird es nach Aussagen des Sozialministers Schleswig-Holsteins, Dr. Heiner Garg (FDP), in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen. In einem Brief vom 28. Februar 2018 an die Oberbürgermeisterin, Simone Lange, teilt der Minister mit, dass der Koalitionsvertrag zwar die Durchführung eines Zukunftslabors vorsehe, allerdings stehe eine Fokussierung auf das bedingungslose Grundeinkommen nicht im Vordergrund, sondern eine ergebnisoffene Debatte. In diesem Gremium solle z. B. „das ‚Bürgergeld‘, verschiedene Formen des ‚Grundeinkommens‘, aber auch die Weiterentwicklung bestehender Sicherungssysteme“ diskutiert und bewertet werden. „Ebenso wenig“, so der Minister, „ist die Durchführung eines Modell- oder Feldversuchs Gegenstand des Koalitionsvertrages oder der Planungen der Landesregierung. Insofern sehe ich zurzeit keinen Anknüpfungspunkt zwischen den Planungen der Landesregierung und den in Flensburg zurzeit angestellten Überlegungen.“
Von einer Jamaika-Koalition unter Federführung der CDU war nichts anderes zu erwarten. Starke konservative und liberale Kräfte aus Politik und Wirtschaft verfolgen nach wie vor den aus ihrer Sicht erfolgreichen Ansatz des „Förderns und Forderns“ – wobei der Begriff „Fordern“ mit der Androhung von Leistungskürzung belegt und verstanden wird. Das heißt, dass sie sanktionsfreie Systeme der Grundsicherung für Arbeitnehmer nicht wollen. Hartz IV hat erfolgreich dazu geführt, die Agenda 2010 durchzusetzen und der Privatwirtschaft zu billigen Arbeitskräften zu verhelfen. Anders ausgedrückt: Eine Emanzipation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gegenüber den Unternehmen ist nicht gewollt. Der Status quo der Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit soll erhalten bleiben.
Gleichzeitig schaffen es die konservativ-liberalen Kräfte mit ihrem Widerstand gegen ein sanktionsfreies Sozialsystem, die Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen allein als Hartz-IV-Kritik zu etikettieren. Das erschwert eine gesellschaftliche Diskussion über das emanzipatorische Moment des BGEs und schmälert sein Potenzial sowie seine Ausstrahlung. Das müssen wir als Grundeinkommensbewegung verhindern und umkehren. In dieser Hinsicht war der Einigungsprozess im Flensburger Stadtrat vorbildlich. Das Grundeinkommen ist ein Instrument, um in einen kreativen Gestaltungsprozess der Arbeitsverhältnisse zu kommen, an dem sich alle beteiligen können. Mit einem BGE können die Unternehmen „gefordert“ werden, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf Augenhöhe zu begegnen. Die Gesellschaft könnte als Ganzes endlich menschlich wachsen.
Zurück zum Flensburger Stadtrat: Der Versuch war mutig und hat Vorbildfunktion. Man stelle sich vor, in hunderten von Stadt- und Gemeinderäten käme es zu solchen Diskussionen und Einigungsprozessen. Einen solchen bewusstheitsverändernden Prozess können wir befeuern, indem wir weitere Modellregionen ins Leben rufen. Jetzt erst recht!
Zur Autorin: Alice Krins ist gelernte Buchhändlerin und Autorin der Bücher „Vatts’on läuft vorweg“ und „Der Ungesalbte“. Sie betreibt eine Nachhilfeschule in Salzwedel.
Foto 1: Simone Lange (2018) von Michael Thaidigsmann – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0
Foto 2: Heinrich Garg (2013) von Sven Teschke, CC BY-SA 3.0 de
6 Kommentare
Wie schade. Aber der Kampf ums bGE geht weiter.
Das war doch abzusehen!
Simone hat beim Regionaltreffen Nord Ende Juni eine sehr gute und engagierte Rede gehalten. Für sie sei die Diskussion um Modell- bzw Feldversuche in ihrer Region noch lange nicht abgeschlossen - sie wird sich weiterhin für die Einführung eines bGE-Modells in Schleswig-Holstein stark machen. Als nächstes ist eine Groß-Infoveranstaltung zum Thema \"bGE im Norden\" geplant.
Leider waren die Erwartungen an diese Großveranstaltung im Bürgersaal zum Thema bGE wohl zu hoch. Knapp zwei Stunden durften drei - zugegebenermaßen - profilierte RednerInnen (HH, Gewerkschaftsfrau Dr. S. Uhl und A. de Roo aus den Niederlanden) ihre Ansichten/Erfahrungen bezüglich bGE vor einem geneigten und interessierten Publikum zum Besten geben. Die drei anschließenden Diskussionsgruppen erwiesen sich als wenig produktiv. Und zum geplanten \"Feldversuch\" war Simone in ihrer einleitenden Ansprache nur zu einer Randnotiz zu bewegen. Kein Mensch erfuhr an diesem Abend, was die SPD nun wirklich vorhat. Vielleicht steht etwas in ihrem neu erschienenen Buch?
Ein bGE ist NICHT finanzierbar (!!!) Tatsächlich gibt es zum bGE in der BRD inzwischen mehr als 20 Modellvarianten - die jedoch ALLE ins Leere laufen. Hierzu gibt es zwei detaillierteste Vorschläge 1.) z. B. das von Götz Werner (dm) konz. Konzept über eim mehrwertsteuerfinanziertes bGE - welches allerdings einen Umsatzsteueransatz von ca. 130% vorsehen würde (!!)=unrealistisch! (Dies würde die Schattenwirtschaft beflügeln!) 2.) Vorschlag von Prof. Thomas Straubhaar - welches eine Flat-Tax von 40-50% bei der Einkommenssteuer vorsehen würde (!!) = auch unrealistisch! Im Übrigen würde ein bGE eine sozialpolitische Gleichbehandlung bedeuten, die angesichts des deutschen Hangs zur Einzelfallgerechtigkeit NICHT lange bestehen würde! Zu weiteren aktuellen Analysen, Bewertungen & Informationen verweise ich auf das \"Deutsche Steuerzahlerinstitut\" (!!!)
Was heute für die Berechnungen des Arbeitslosengeld II an Zeit und Geld aufgewendet wird könnte man einsparen. Viele Arbeitsplätze wären frei